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Mit Herz und Historie: Michael Hell und Ārt House 17 zur Eröffnung von Shalom.Musik Köln 2024

By , 16 August 2024

Das Eröffnungskonzert der diesjährigen Edition des Festivals Shalom.Musik Köln unter dem Motto „Together now“, welches das vielfältige jüdische Musikerbe hochleben lässt und gerade in Zeiten wachsenden Antisemitismus ein Zeichen für Verständigung und Zusammenhalt setzen möchte, wartete mit einer veritablen Sensation auf. Unter Leitung Michael Hells brachte es neben für sein Kammerorchester Ārt House 17 arrangierten Liedern Friedrich Hollaenders, Robert Stolz‘ und Werner Richard Heymanns die tatsächliche Uraufführung Maria Herz‘ Cembalokonzerts aus dem Jahre 1935 zu Gehör, wurden die Soloklänge vor vier Jahren in der Schweiz „lediglich“ vom Klavier erzeugt. Dabei brennt vor dem Eingang auf die musikalische Umsetzung unter Anwesenheit Herz‘ Enkels Albert die Frage geradezu unter den Nägeln: Wer war überhaupt Maria Herz?

Michael Hell mit Ārt House 17
© Shalom-Musik.Köln | Kay-Uwe Fischer

Antwort gaben der künstlerische Leiter, Thomas Höft, und Entertainerin Sharon Brauner in ihrer Moderation. Herz wurde am 19. August 1878 in Köln geboren und schlug dort einen musikalischen Ausbildungsweg ein. Diesen setzte sie in England fort, wohin sie aufgrund der zunehmenden Judenfeindlichkeit in Deutschland emigriert war und wo sie erste Auftritte als Pianistin, Liedkomponistin und Referentin absolvierte. 1914 fand sie sich als Gestrandete in der Heimat wieder, konnte sie nach Teilnahme an der Heiratsfeier ihres jüngeren Schwagers wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr zurück auf die Insel. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Tod ihres Mannes Albert fasste sie trotz widrigster Umstände als Komponistin in Köln Fuß, als sie ihre Stücke unter dem zusammengesetzten Künstlernamen Albert Maria Herz veröffentlichte.

Sie wurden unter anderem vom Kölner Generalmusikdirektor und Leiter des Gürzenich-Orchesters Hermann Abendroth gespielt. Eine Freundschaft verband sie mit dem vormaligen Kölner Opernchef Otto Klemperer. Dieser starb später in Zürich, wo nun auch Herz‘ Nachlass mit ihren Liedern, die beim Konzert ebenfalls ihrer teilweisen deutschen Premiere zugeführt wurden, und besagtem Cembalokonzert liegt. Jenes Solowerk stellte die Komponistin in England fertig, nachdem sie 1934 erneut ins Exil gehen musste, das schließlich nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs New York werden sollte. Mit dem seinerzeit unveröffentlichten Cembalokonzert lag sie auf einer Welle der Alte-Musik-Bewegung des 20. Jahrhunderts, die untrennbar mit dem Namen Herz‘ jüdischer Tastenkollegin Wanda Landowska verbunden ist. Manuel de Falla und Francis Poulenc komponierten für die große Landowska, die ein eigenes Instrumentenmodell entwickelte. Auch Bohuslav Martinů, Henryk Górecki, Hugo Diestler und Walter Leigh gehörten zur stilistischen Bewegung, Barockes, speziell die Cembalo-Renaissance, mit der Moderne zu kombinieren.

Iris Vermillion
© Shalom-Musik.Köln | Kay-Uwe Fischer

Hell spielte das viersätzige Stück in historischer Genauigkeit an einem 1939er Pleyel-Konzertcembalo; und das – barfüßig – mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit und Strukturverleihung in puncto affektgesteuerter Dynamik, intensiver, kontrastreicher und farbiger Phrasierung sowie furioser, behänder Laufmeisterung am Doppelmanual. Dabei wog er seinen Oberkörper zu den Notenbögen auf und ab, die die solistische Ārt-House-17-Begleitung aus darmbesaiteten Streichern und Flöte in tonalen, klassizistisch-barocken und leicht atonalen, avantgardistischeren oder folkloristisch idiomatisierten Fugationen fast vibratolos, dafür mit deutlicheren Portamenti einbrachte. Mal wilder, wie im Scherzo und Quasi perpetuum mobile, mal sanfter – con-sordino-vorgeschrieben – im dennoch recht aufwühlenden Andante cantabile und mal – auch ab und zu intonatorisch – so, dass ich mir trotz der Begehung ungewohnten Terrains ein noch etwas bewussteres Zupacken gewünscht hätte.

Hila Baggio
© Shalom-Musik.Köln | Kay-Uwe Fischer

Jene Sätze wurden unterteilt von sieben Herz-Liedern von 1906, 1910 und 1921, die Sehnsucht, Sorgen und Schicksal verarbeiteten, gefolgt von Hollaenders, Stolz‘ und Heymanns 30er-Jahre-Film-Chansons, allesamt wahlweise gesetzt für Cembalo solo, Akkordeon solo (daran Ivan Trenev) oder Ensemble-Tutti. Grande Dame Iris Vermillion bewies darin ihre einnehmende Klasse und Ausstrahlung aus sehr dunkler Kontra-Alt-Farbe, wörtlicher Unmittelbarkeit, Stilsicherheit, Ausdrucksformung, Artikulation und Verständlichkeit, die jeden Einsatz zu einem Erlebnis machten. Hila Baggios Sopran zeichnete sich bei mehr Vibrato und manch gröberer und dann doch wieder stimmiger angebrachter Ausbrüchigkeit besonders durch Registerstärke aus. Gemeinsam verzauberten sie in Heymanns Irgendwo auf der Welt und verhalfen bei Shalom.Musik ehrerweisend zu „einem kleinen bisschen Glück“.

****1
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Reviewed at Flora Köln, Cologne on 15 August 2024
Herz, Cembalokonzert
Herz, Ausgewählte Lieder
Stolz, Songs: selection
Heymann, Songs: selection
Holländer, Songs: selection
Hila Baggio, Soprano
Iris Vermillion, Mezzo-soprano
Ensemble Ārt House 17
Michael Hell, Harpsichord, Conductor
Barock in Lack und Leder bei der Styriarte
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