Was ist nicht schon alles über Mozarts zweites Drama giocoso geschrieben und gesagt worden? E.T.A. Hoffmann nannte sie die Oper aller Opern und Sören Kierkegaard hat gar eine komplette Musikästhetik auf ihr aufgebaut. Nach der Zauberflöte ist Il dissoluto punito ossia il Don Giovanni, wie die Oper mit vollem Titel heißt, das meistgespielte Musiktheaterwerk von Wolfgang Amadé Mozart und hat zahllose Deutungen und Interpretationen von den Granden des Musiktheaters bis zur kleinen Studiobühne erfahren. Lässt sich dem, so möchte man fragen, noch etwas Originelles hinzufügen?
Die Intendanz der Wiener Volksoper meint ja und lässt einen besonderen Bühnenkünstler diesen Versuch unternehmen. Achim Freyer, der nicht zu Unrecht als Theatermagiker bezeichnet wird, hat sich des Mozart'schen Don Giovanni in seiner Karriere schon zweimal angenommen. Bei seiner dritten Neuinszenierung will er vor allem den Titelhelden als ein Prinzip auf die Bühne bringen, das in jeder Gesellschaft die wesentliche Rolle spielt: das Prinzip der Verführung.
Dieses versucht er in einer farbenprächtig-verspielten, märchenhaft-verzauberten Inszenierung herauszuarbeiten , in welcher Gesten eine tragende Rolle spielen. Achim Freyer ist dabei nicht nur Regisseur, sondern auch Bühnen- und Kostümbildner wie Lichtdesigner in einer Person. Ein schwarzweißes Einheitsbühnenbild mit farbigen Akzentsetzungen, das je nach Situation ausgeleuchtet werden kann, prägt den Abend. In einer scheinbar am Meer gelegenen Spielfläche (ein weiß-roter Leuchtturm und immer wieder auftretende Fischer evozieren dies) mit Hotel und Kapelle bewegen sich die Figuren, die irgendwo zwischen Kasperltheater und Commedia dell'arte anzusiedeln wären, durch die Handlung. Jede von ihnen ist mit einem eigenen, so nennt dies Achim Freyer im Programmheft, Zyklus an Gesten versehen, der für sie oder ihn typisch ist und den sie jeweils ausüben, ob dies nun zur gesungenen Emotion passt oder auch nicht.
Freyer verfolgt damit ein hehres Ziel, nämlich die Befreiung von der Handlung durch ein Set an „falschen“ Gesten, was die Zuschauenden zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dieser Figur bringen soll. Dies ist sicherlich nicht jedermanns Sache, denn es wird in dieser Inszenierung folglich viel gezappelt, was generell zu erstaunlich viel Bewegung führt. Wer sich allerdings auf dieses „Theater“ einlässt, der kann einen kulinarischen Opernabend erleben, der tatsächlich einen neuen Blickwinkel auf den alten Don Giovanni bereithält.
Kulinarik ist, wie das Programmheft verrät, ein wichtiger Aspekt des Don Giovanni. Essen und Genießen hängen in diesem Werk zusammen und daraus generiert Freyer eine witzige, vielleicht auch etwas geschmacklos-grandiose Schlusspointe. Don Giovanni, das Prinzip der Verführung, fährt am Ende nicht in die Hölle, sondern wird von allen Charakteren der Oper zerrissen und als „Würstl à la Don Giovanni“ zum Abschluss im Restaurant, in welches die Zuschauer eingeladen werden, verzehrt.