In Frankfurt wurde eine gegensätzlich angelegte Doppelaufführung als letzte Premiere dieser Spielzeit gezeigt. Dabei folgte auf Arnold Schönbergs Pierrot Lunaire, inszeniert von Dorothea Kirschbaum, eine Uraufführung als Auftragswerk der Oper Frankfurt, komponiert von Michael Langemann. Anna Toll oder die Liebe der Treue zeigte eine starke Rezeption von den großen musikalischen Vorbildern der Spätromantik, während das mehr als hundert Jahre ältere Werk Schönbergs viel mehr einen Geist der Erweiterung der musikalischen Ausdrucksmittel beweisen konnte.
Schon vor Stückbeginn des ersten Werks hörte man Laura Aikin, die Stimme des Pierrot Lunaire verkörpernd, verschleiert in einem silberglänzenden Frack singen. In einer losen Bar-Atmosphäre wurden die Evergreens des Jazz gegeben, die, zusammen mit einem reizenden Piano-Spieler (Simone Di Felice), eine zauberhafte Stimmung erzeugten. Aikin bewegte sich sicher durch die Lieder und konnte dann die hellen, klaren Töne mit ihrer melodiös gestalteten Sprechpartie des Pierrot Lunaire konterkarieren. Hin- und hergetrieben zwischen hohen und tiefen, vibrierenden und flachen Ausformulierungen verlieh sie als Rezitatorin ihrer Rolle ein markantes und differenziertes Stimmbild, bei dem vor allem die extreme Klarheit ihrer gesprochenen Töne beeindruckte. Auch die fünf Bühnenmusiker unter der Leitung von Nikolai Petersen trugen mit präzisem Spiel zum musikalischen Gesamtbild der Vorstellung bei.
Für die besondere Anforderungen an eine szenische Darstellung (das Stück wurde nur für eine rezitativische Aufführung geschrieben) wurden anfangs schöne Lösungen gefunden. Die Sprechsituation, die von dem Text – den Gedichten Albert Girauds – herrührt, wurde von einem selten von sich sprechenden lyrischen Ich szenisch auf die Figur des Dichters (David Laera) und des Pierrot aufgeteilt. Leider ergaben sich im Spiel jedoch nur wenige Bilder, die der Bild- und Symbolgewalt des Textes gerecht wurden: Die leuchtend weiße Ausstattung und das glitzernde Kostüm funkelten teilweise ungünstig der düsteren Mondstimmung auf glamouröse Weise entgegen. Dem jazzigen Charme, der das Publikum einen galanten Abend vermuten ließ, wurde eine Avantgarde-Musik entgegenstellt, sodass die gewollte Differenz einen geplanten Schock vermuten lässt. Gerne hätte man dabei auch die Wasserwellen-Optik zugunsten einer waghalsigeren Ausstattung aufgeben können, denn trotz der Einzigartigkeit des Werkes blieben wenige klassische Pierrot-Momente optisch erfahrbar.
Diesem kurzen Werk folgte dann die Uraufführung von Anna Toll oder die Liebe der Treue. Aus welchem Grund diese beiden Werke an einem Abend gegeben wurden, war nicht offensichtlich. Während der schräge Sprechgesang des vorherigen Stückes tatsächlich, und nicht nur zur Zeit seiner Entstehung, als etwas Neues verstanden werden konnte, so ergab sich diese Erfahrung bei Anna Toll nicht. Man fühlte sich an Wagner, Brahms und Richard Strauss erinnert; allerdings gab es kaum Momente, in denen diese musikalischen Vorbilder gebrochen, kommentiert oder ironisiert wurden. Dass sich der Kompositionsauftrag von einer Oper zur Operette entwickelte, wurde dabei verständlich.