Spöttisch könnte man behaupten, es ist kein Wunder, dass Purcells aufführungsdiffizile (Semi-)Opern bis auf Dido and Aeneas lange Zeit in einen Dornröschenschlaf fielen, schließlich konnte sein King Arthur schon einmal einen halben Tag lang dauern. Auch die altertümlichen Libretti sowie die zum Beispiel bei Dioclesian erforderte Sängerriege und erstmals größere Anzahl an Orchestermusikern förderte nicht gerade das schnelle Erwachen der Musik. Die deshalb daraus nach Belieben zu Suiten zusammengefasste Instrumentalmusik – manchmal von zweifelhafter Originalität – ermöglicht jedoch, den Zuhörer mit deren revolutionärer und außergewöhnlicher Schönheit vertraut zu machen. Ein Aufstehen, das von Beginn an auf den Fahnen des Concentus Musicus Wien stehen sollte. Diese bot das Ensemble unter Stefan Gottfried beim selten gewordenen Gastspiel in der Alte-Musik-Hauptstadt Köln dar, zusammen mit Rameau, den später auf französischer Seite das gleiche Schicksal wie Purcell ereilte.
Gottfried betrat die Bühne zu Beginn der beiden Konzertteile jeweils mit der zusammengebundenen Partitur der eigenen Suite-Zusammenstellungen, als sei er mit dem Ensemble der Lehrer, der nun den Klassenraum mit seinem Lehrmaterial betritt, um – tatsächlich exakt à 45 Minuten – zwei Unterrichtsstunden zu geben. Diese Beobachtung sollte gar vom Dirigenten aufgegriffen werden, wandte er sich schließlich vor der Zaïs-Suite Rameaus an das Auditorium, sich den Komponisten als „modernen Quanten- und Elementarteilchenphysiker“ vorzustellen, der nach Ordnung, Sinn und Struktur suche. Diese Vermittlungsaufgabe übernahm Gottfried mit dem Concentus. Zuvor hatten die Erklärer mit Purcells The Prophetess or The History of Dioclesian eine erste launige Musik- und Geschichtseinheit abgehalten, deren Elan und zupackende Zugewandtheit bis zum Ende anhalten sollte und stets Lust auf den Fortgang erweckte. Einer mit Bässen rumorenden, knisternden First Musick voller Enthusiasmus folgte die Purcell'sche, orpheusmäßig anrührende Filigranität und Eleganz der ersten tune (aus dem zweiten Akt); Kontraste, die stets mit Dynamik noch stärker changierten als im Ausdruck ohnehin schon und im Ablauf umso unterhaltsamer waren durch die abwechslungsreichen, folkloristischen Schlagwerkeinsätze. Beispielhaft erwähnt sei der genauso passionierte, mit Trommel bullernde, deftige Country dance, der umrahmt wurde von schmeichelnder Fourth Act tune mit Altblockflöten und der leichten, zärtlichen und schwingenden soft music samt Traversflöte. Den stets festlich-royalen Touch erzielten natürlich die Trompeten in der eingebauten Symphony sowie die eingängige, spritzige Trumpet tune mit Trommel und Piccolo, sodass man einen wachen Übergang zum Lauschen des vorhaydn'schen Urknalls legte.
Das Chaos ließen Gottfried und der Concentus mit der wüsten Einleitung zu Zaïs schließlich ungestüm hereinbrechen: ein Durcheinander von Harmonien, unterstützt von Absetzern und Accelerandi, kruden Streicher-Wirbeleien und heftigsten Trommel-Schlägen über Bass-Martellati im langsamen Teil. Im schnelleren, scheinbar schon verdaulich entstehenden Part nach dem ersten Schreck erwies sich die Lehrergemeinschaft mit pfeifendem Zurechtwuseln und Blitzen von Oboen, Streichern und Piccoloflöte als leibhaftige Astronautencrew mit faszinierender Kompetenz im Rameau-Universum – mit der dafür benötigten Exaktheit und Detailverliebtheit in Sachen dynamischer Entdeckung und wagemutigem, verlässlichem Einsatz. Danach erstellten sie ein anschaulich-beschauliches Hörbild Rameaus Farbwelt, Radikalität und Eleganz mit wechselvoller Phrasierung und Akzentuierung, so wie guter Physikunterricht sein sollte. Auch die vermeintlich akademischeren Entrées sollten neckisch und mit interessantem Aufmerken aufbereitet werden, sodass bei allem Lernen der Spaß und die Durchlüftung nie zu kurz kamen. Erst recht nicht mit den launemachenden Rigaudons oder der extravaganten Gigue, in der die Schlaghölzer klapperten, die Oboe quäkte, das Fagott – am Abend gab es entgegen der üblichen Besetzungspraxis von zwei Instrumenten nur eins – sonor blubberte und die Streicher exzentrisch unter Spannungsstrom standen. Hatte die Physikeinheit mit einem großen Wums begonnen, endete sie mit dem mächtigen Knattern des Tambourins der köstlichen Sause vor dem königlichen Pausentee.