Schon Shakespeare erkannte in Wie es euch gefällt: „Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler.“ Und Stefan Herheim scheint gerade dieses spielerische Element in Wagners Ring des Nibelungen als Schlüssel für seine Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin zu sehen. Bereits in der Walküre, die pandemiebedingt als erstes ihre inszenatorische Aufführung fand, gab es viele Beispiele des „Theater auf dem Theater“-Topos zu beobachten.
Das Spiel ist ein wichtiges Element – besonders im Rheingold. In zahlreichen Regieanweisungen und im Text selbst, wird immer wieder das Spielerische erwähnt, besonders zu Beginn, im Zusammenhang mit den Rheintöchtern, die stets als Spielende bezeichnet werden. Als Alberich auftaucht, heißt es beispielsweise „Der Niblung naht eurem Spiel!“, und: „Wonnige Spiele spenden wir dir“. Selbst Wotan rechtfertigt sich unter dieser Prämisse: „Wandel und Wechsel liebt, wer lebt; das Spiel drum kann ich nicht sparen!“ Dieser Wandel und Wechsel ist programmatisch für das Rheingold, in dem es so viel zu sehen, zu deuten und zu hinterfragen gibt. So viel, dass Herheim seine Sänger*innen immer wieder in der Partitur nachsehen lässt, wie es weitergeht und was zu tun ist. Wotan, zu Beginn noch als Geflüchteter verkleidet (oder ein Geflüchteter, der sich als Wotan verkleidet?), läuft auf den Flügel zu, spielt einen Akkord, die Musik ertönt und das Spiel nimmt seinen Lauf.
Auf der Bühnen schaffen Stefan Herheim und Silke Bauer eindrucks- und fantasievolle Spielräume – eine düstere Unterwelt der Nibelungen oder luftige Bergeshöhen – alles mit meist einfachen aber wirkungsvollen Theaterkniffen. Ein riesiges weißes Tuch lässt immer wieder neue Bilder entstehen und die Videos und Lichtsetzung verstärken diese Effekte zusätzlich. Ob Kunst, Kitsch oder Klamauk, Herheim schöpft aus dem Vollen und spart nicht an Personenregie, Bühnenbild und Lichtsetzung – alles passiert immer in Hinblick auf das „Spiel“.
Visuell schlägt Herheim jedoch noch einen weiteren, ganz anderen, Interpretationszweig auf. Dieser entspringt der Biographie Richard Wagners, der bereits als junger Mann ins Exil musste, als Revolutionär Fluchterfahrungen machte und dessen ganzes Leben von dutzenden Reisen geprägt war – 16 Länder und über 200 Städte, verrät das Programmheft. Eine bedeutende Station für die Entstehung des Rings war sein Zürcher Exil. Dort arbeitete er vermehrt an der Tetralogie und präsentierte sie erstmals der Öffentlichkeit. Jedoch nicht wie heute gewohnt im Opernhaus, mit riesiger Orchesterbesetzung, sondern vorerst konzertant am Klavier. Dieses Klavier – in Herheims Produktion stets im Zentrum auf der Bühne sichtbar – wird zum schöpferischen Nukleus, aus dem alles geschaffen wird. Die Sänger*innen setzen sich an den schwarzen Flügel, spielen auf ihm und geben so den Takt an – wortwörtlich, denn sogleich bestimmen sie das Geschehen und lenken es scheinbar in neue Bahnen.