Wie viele Quellen mag René Jacobs in seiner Arbeit durchforscht haben? Ohne konkrete Antwort darauf tragen diese Einblicke auf jeden Fall besondere Ergebnisse zu Tage, die in der Interpretation der sogenannten Alten Musik auf Neues bedacht sind. Beim Blick in das eigene Diskographien-Buch und dem Kalender fiel Jacobs nach Opernentdeckungen und vor allem dem da-Ponte-Zyklus auf, dass ausgerechnet das Mozart-Requiem noch fehlte. Nicht verwunderlich, ist es mit dem benannten Anspruch, der Quellensituation und allseitiger Bekanntheit gerade schwierig, sich dem zu nähern. In dieser Lage beauftragten die Projektverantwortlichen den französischen Komponisten Pierre-Henri Dutron daher gleich mit einer neuen Edition. Zusammen mit der letzten großen Haydn-Messe für Esterházy, einer ebenfalls neuen Wahl, sollte Jacobs diese Lücke in bewährter Partnerschaft mit dem RIAS Kammerchor und dem Freiburger Barockorchester schließen.
Noch bevor der erste Akkord erklungen war, offerierte er mit der ungewöhnlichen Platzierung des Requiems zu Beginn eines Konzertes schon das selbstbewusste, äußerliche Ergebnis; eine Beachtung der werklichen Chronologie des Abends sowie mentalen Bewältigung. Mit dem ersten Ton der unnachahmlichen Bassetthörner und Fagotte dann, meistens geheimnisvoller, nach seiner Vorgeschichte eher artikulatorisch radikaler erwartet, präsentierte Jacobs auch plastisch seine Lesart: weniger eine mysteriöse Totenmesse, mehr ein unprätentiöses, letztes Statement Mozarts musikalischen Lebens.
Diesem nicht einfachen Interpretationsdiskurs kam der Chor mit dem Ausdruck eines strengen, klaren Geradeaus' nach; nicht überspitzt, eingebettet in die weiche Güte des großen Gedankens. Die Befürchtung der leidenden orchestralen Umsetzung ob Jacobs' nun typischer Aufstellung (von links stimmlich aufgereihte Streicher, dahinter Trompeten, rechts sitzendes Holz und mittig hinter der Orgel versteckte Posaunen) schien sich im Introitus zu bewahrheiten, ließ im Kyrie aber mit großem Aufatmen nach. Aufgrund ihres feierlichen Obligatos gebrauchte und ihrer intonatorischen Klasse dringend hörbare Posaunen reihten sich nun – nach ediert-versetztem Umbruch – wahrnehmbar mit den federnden, fluiden Bogenkünstlern in die spielerische Linie ein.
Markierten Paukenwirbel schon einen Vortakt zum Dies irae, übertrug sich das Feuer darin auf alle, immer stärker zudem mit dynamisch-phrasierten Akzenten, bei denen eingebaute chorische Quasi-Ripieno-Effekte mit den Solisten von sich hören machten, die generell einheitlicher und geschickter im Gesangspart eingebunden waren. Jene stellten sich dann unter vorzüglichem Instrumentalsolo von Tenorposaunistin Catherine Motuz im Tuba mirum vor, zunächst Johannes Weisser mit einem äußerlich lässigen, innerlich wohlgemuten, kernigen, geschmeidigen Bariton, der perfekt ins gefärbte Stimmungsbild passte. Danach ein theatralischer, heller Tenor Maximilian Schmitts, dessen Einsätze manchmal etwas unkontrolliert herausstachen, im Partiturverlauf jedoch mit dem weichen, klar-direkten, in Diktion gestochen scharfen Mezzo von Marie-Claude Chappuis und dem süßlich-reinen, textverständlichen aber vibratoverspielterem Sopran Sophie Karthäusers gut verschmolz.