Egal ob als Cinderella oder Aschenputtel, ob aus dem Märchenbuch oder dem Disneyfilm – die Geschichte des einfachen Mädchens, das ihren Schuh verliert und am Ende den Prinzen heiratet, kennt wohl jeder. Unzählige Bearbeitungen des beliebten Stoffes gibt es seit Jahrhunderten sowohl in der Hoch- als auch der Popkultur; Regisseurin Ilaria Lanzino beweist an der Oper Graz jedoch, dass dabei immer noch Raum für frische Perspektiven bleibt.
Sie verbindet nämlich geschickt traditionelle Märchenelemente mit zeitgemäßen Ansätzen und hinterfragt klassische Rollenbilder, ohne dabei die Leichtigkeit und den Zauber des Märchens zu verlieren. Sie erschafft eine Märchenwelt im 21. Jahrhundert und spielt mit kreativen Einfällen und Verweisen auf verschiedenste Märchen, die es unmöglich machen, jedes Detail und all die Referenzen auf Märchenfiguren in nur einem einzigen Besuch zu erfassen.
So lebt etwa Don Magnifico mit seinen Töchtern in einem Haus, das verdächtige Ähnlichkeiten zum Disney-Schloss aufweist und in dem zahlreiche Anspielungen auf Märchenklassiker zu finden sind; beim Ball des Prinzen treffen Rotkäppchen und (böse) Wölfe aufeinander und ein Zauberspiegel darf natürlich auch nicht fehlen. Der – übrigens hervorragend singende – Herrenchor verkörpert das personifizierte Prinzenklischee mit muskelgestählten Körpern und wallendem Haar und wird dementsprechend von den anwesenden Prinzessinnen angeschmachtet.
Während all diese Charaktere ganz glücklich zu sein scheinen in ihrem Universum aus Glitzer, Tüll und Traditionen, können Angelina und Don Ramiro jeweils auf ihre eigene Art nicht viel mit diesen Rollenbildern und gesellschaftlichen Erwartungen anfangen. So versucht Angelina, ihr Kleid zu verbrennen und Ramiro verwandelt einen Frosch in einen Diener, damit er sich vor der unvermeidlichen Brautsuche drücken kann. Ein besonderer Coup dieses Einfalls: Dandini gelingt die Verwandlung nur teilweise. Dass er deshalb ein kurioses Mischwesen aus Amphibie und Mensch ist, scheint aber niemanden wirklich zu stören, solange er nur seine Krone trägt.
Im Verlauf der Handlung gelingt es Angelina und Don Ramiro dann auch tatsächlich, aus ihren festgefahrenen Rollen auszubrechen und ihr persönliches Happy-End zu finden, das nicht aus romantischer Erfüllung und Kitsch besteht, sondern daraus, dass in der Märchenwelt ein bisschen mehr Freiheit herrscht. Die Sänger und Sängerinnen setzten die originellen Ideen der Regisseurin mit vollem Einsatz und überzeugender Darstellung um und sorgten so dafür, dass sowohl die Musik- als auch die Theaterkomponente des Abends Grund zur Freude boten.
Anna Brull begeisterte in der Titelrolle mit ihrem facettenreichen Mezzosopran, der durch warmes Timbre und mühelose Koloraturen glänzt und in allen Lagen frei strömt. Sie verlieh der Angelina sowohl stimmlich als auch darstellerisch Tiefe, indem sie eine starke junge Frau zeigte, die ihren schwierigen Lebensumständen mit Entschlossenheit begegnet und die sich nicht davor scheut, anders zu sein. Als Don Ramiro an ihrer Seite brillierte Pablo Martinez als rebellischer Prinz, der sich genausowenig darum kümmert, welchen Rollenbildern er entsprechen sollte. Sein Tenor ist einerseits mit viel Schmelz und italienischem Klang ausgestattet und andererseits verfügt er über diese mühelosen und strahlenden Höhen, die bei Rossini (und generell im Belcanto-Repertoire) besonders viel Eindruck hinterlassen.
Die erfahrenen Ensemblemitglieder Wilfried Zelinka und Ivan Oreščanin verliehen Don Magnifico und Dandini mit spielerischer Leichtigkeit und Sinn für komödiantisches Timing starke Präsenz. Zelinka glänzte mit rasanten Tempi und dabei stets gewahrt bleibender Textdeutlichkeit, während Oreščanin als halb-froschiger Diener sein komödiantisches Talent voll ausleben konnte. Daeho Kim setzte als Alidoro auf mefistopheleshafte Dämonie in der Darstellung und gestaltete die Figur mit seinem Bass voller satter Tiefen und geschmeidiger Mittellagen auch vokal hervorragend. Als Angelinas Stiefschwestern Tisbe und Clorinda, die zwischen Influencer-Dasein, Kaufrausch und Prinzen-Schmachterei in einer Welt aus Klischees gefangen zu sein scheinen, glänzten Sofia Vinnik und Ekaterina Solunya. Solunyas heller Sopran mit präzise gesetzten Spitzentönen und Vinniks dunkel schimmernder Mezzo ergänzten sich überdies ganz wunderbar in ihren gemeinsamen Szenen.
Unter der Leitung von Marius Burkert trippelten die Grazer Philharmoniker leichtfüßig und schwungvoll durch Rossinis Partitur und drehten vor allem bei flotten Tempi so richtig auf. Der Dirigent schien den Belcanto-Klassiker dabei von einer operettenhaften Herangehensweise aus zu betrachten, was sich als durchaus gelungen erwies: Das Ergebnis war nämlich ein elegantes Klangbild, das von präzise ausgearbeiteten Details geprägt wurde und Leichtigkeit versprühte.
About our star ratings