Neben den großen Bühnenwerken Rameaus gehen bei der NTR ZaterdagMatinee natürlich auch die Vorstellungen italienischer Barockopern in der Saison weiter – was bei aller Individualität der neuen künstlerischen Leitung der niederländischen Rundfunkinstitution zu hoffen bleibt, wenn der im Streit zurückgetretene Direktor Kees Vlaardingerbroek nicht mehr für die Programme verantwortlich zeichnet. Während Andrea Marcon in seiner mittlerweile jährlichen Vivaldi-Wiederkehr im Februar ein Intermezzo mit Graupner einlegen und Händels Tolomeo diesmal nicht von der üblichen Parnassus-Produktion, sondern dem Kammerorchester Basel kommen wird, liegt mit der Musik Alessandro Scarlattis ein bisher weiterer zwingender Dauergast auf den Pulten.
Schließlich gibt es bei Scarlatti mit 114 Opern noch viel zu entdecken, nachdem seine Nr. 109 (Telemaco) mit Marcello di Lisa, zuvor erstmals von Franziska Schnoor für Thomas Hengelbrock eingerichtet, in der vergangenen Spielzeit präsentiert wurde. Dem hat sich besonders katalogisch Thibault Noally verschrieben, der als Konzertmeister Marc Minkowskis Les Musiciens du Louvre dafür sein gemeinsam mit Kollegen befülltes eigenes Ensemble Les Accents von dieser Instrumentenposition aus leitet. An der Reihe war dabei nun wieder – für die Niederlande eine Weltpremiere – die mit üblichen Kürzungen und zum kleinen Teil abweichenden Stimmfachbesetzungen eingerichtete Partitur zu Il Mitridate Eupatore, die Noally zuletzt 2017 in Beaune aufführte, dem Ort des Gründungskonzerts seiner Gruppe im Jahr 2014.
Wie später generell bei Rameau und zuvor in französischer Barockoper nach einer klassischen Tragödie aufgebaut, ist auch Scarlattis Stück im Kontrast zur italienischen Dreiaktigkeit in fünf Aufzügen und mit stets ernst-moralisierendem Personal gar ohne richtiges lieto fine konzipiert. Ein Versuch von Librettist Girolamo Frigimelica-Roberti zur Belebung der örtlichen Tradition, der zur Eröffnung der Opernsaison 1707 damit so gehörig scheiterte, dass Scarlatti keinen Auftrag mehr aus Venedig erhalten sollte. Im Premierenpublikum von damals saß übrigens Händel, doch wie dieser selbst den Mitridate fand (ein Schreiber urteilte „süß und einschläfernd“), ist nicht überliefert.
Alles andere als ermüdend stellte sich für mich als heutiger Berichterstatter die Version und Ausführung Noallys mit 28 Arien, vier Duetten, zwei Chören und sechs Sinfonia-Sätzen dar, von denen insgesamt nur neun langsameren Tempos waren. In jenen leicht gemäßigteren Beispielen, wie immer monologisches Lamento-Sinnieren über Liebe und mit Suizidkonsequenz garnierte Entscheidungen, zeigten sich Les Accents von etwas samtigerer, stets aromatischer Seite, zogen doch sonst alle Musiker in den äußerst fixen, auch durch die attacca-Verbindungen mit wirklich vitalem, balancemäßig mitunter etwas zu kraftstrotzendem Continuo, rastlosen Rachegelüsten hervorragend straff-theatralisch mit, bissig und knackig, tadellos koordiniert an einem Strang sowie stürmisch durch die Notierungen. Kleinste Intonationstrübungen hatte Noally allein in seinen Solokadenzen zur Arie direkt nach der Pause, als er das einzige Mal seitlich stand, kehrte er dem Publikum mit der Geige im mitspielenden Anschlag den Rücken zu. Prächtig erfüllten sowohl die beiden Trompeten ihren Dienst als auch die Solooboe Thimotée Oudinots.