In der griechischen Mythologie waren die Titanen eine frühe Generation von Göttern, die die Goldene Ära beherrschten. Chronos, der jüngste Titan, war der Gott der Zeit. Für die Zeit gab es in der griechischen Mythologie noch einen anderen Gott, nämlich Kairos. Dieser wiederum stand für einen günstigen Moment im Zeitverlauf, der die Chance zum Glück in sich birgt und den es zu nutzen gilt. Eine derart günstige Gelegenheit nutzten die Besucher des Münchener Herkulessaals am 26.06., um dem Konzert dreier Titanen der klassischen Musik beizuwohnen. Das Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks spielte unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin und mit Gil Shaham als Solist Bela Bartóks zweites Violinkonzert und Gustav Mahlers Symphonie Nr. 1 in D-Dur („Titan“).
Bereits zu Beginn des ersten Satzes von Bartóks Violinkonzerts sprang der musikalische Funke auf die Zuhörer über, nicht zuletzt inspiriert durch Gil Shahams wie immer überschäumende Musizierfreude. Mit ansteckender Begeisterung freute sich der Geiger auch während der Orchester-Passagen über die faszinierenden Einfälle und überraschenden Wendungen in Bartóks Komposition. Und diese sind wahrlich in Hülle und Fülle vorhanden. Zarte Melodien werden durch aufrüttelnd schroffe Passagen vehement unterbrochen, meist initiiert durch die Solovioline. Gil Shaham schiffte souverän durch die Klippen dieses vertrackten Stückes und behielt stets den musikalischen Weitblick für die großen Bögen, welche die unterschiedlichen Passagen verbinden. Besonders überzeugend gelang ihm die Vierteltonpassage, die er trotz der ungewohnten Intonation natürlich und stimmig in den musikalischen Gesamtzusammenhang integrierte.
Der langsame zweite Satz ist ein Variationssatz, in dem das Orchester und die Sologeige zunächst samtig weiche Kantilenen anstimmen. Hier konnte das Rundfunkorchester seinen kompakten und facettenreichen Klang voll zur Geltung bringen, um Gil Shaham die musikalische Basis für sein herrliches Spiel zu bieten. Während der erste und der letzte Satz des Violinkonzertes vor allem von dionysisch-wilden musikalischen Ausbrüchen geprägt sind, beherrschen im zweiten Satz apollinisch-klare Linien die Komposition. Diese Gegensätze interpretierte Shaham äußerst überzeugend und erntete für seine Darbietung langanhaltenden Applaus. Als Zugabe gab er noch die Gavotte en rondeau aus der dritten Partita in E-Dur und holte mit Johann Sebastian Bach einen weiteren Musik-Titanen auf die Bühne.