Eine Violetta der etwas anderen Art kann man seit dem 27. September in der Kammeroper in Wien erleben. Die Inszenierung von Lotte de Beer mit dem Remix von Moritz Eggert versetzt nicht nur die Geschichte der Traviata in das Hier und Heute, sondern verleiht auch der Musik von Giuseppe Verdi ein neues Kostüm. Dass ein Publikumsliebling wie die Traviata eigentlich keiner Überarbeitung bedarf, ist den Künstlern bewusst: „Das Ganze ist als Angebot gedacht, nicht als Ersatz. Aber warum nicht einen anderen, frischen Blick darauf werfen?“
Das Konzept umfasst neben einer durch Projektionen ergänzten Bühne 14 Instrumentalisten von der Violinistin bis zum DJ sowie die bescheidene, aber ausreichende Zahl von fünf Sängern. Durch die musikalische Überarbeitung von Moritz Eggert und Jacopo Salvatori vermisst man in der kleinen, feinen Kammeroper weder einen Chor noch eine große Orchesterbesetzung. Die gekürzte Fassung (die Aufführung währt nur etwa 1 ½ Stunden) erweckte für mich den Eindruck einer intensivierten, schrilleren Version der weltbekannten Oper.
Man könnte es als zeitgenössische Adaption sehen, wenn in das zarte Geigenzirpen der Ouvertüre plötzlich ein Saxophon und Keyboard sphärisch mit einstimmen. Die meisten Vor- und Zwischenspiele wurden gestrichen, dafür aber Solostellen für den DJ eingebaut, die als Bruch zwischen den Szenen eine neue Stimmung einleiten. Zu Beginn ist dieser schnelle Wechsel für den an lange musikalische Verarbeitungen gewöhnten Opernzuhörer zu abrupt. Laut und bunt ist der Orchesterklang, als Violetta im ersten Akt ihrem Hedonismus frönt. Es kommen Akkordeon und E-Gitarre zum Einsatz und geben dem altvertrauten Klang eine mal warme, mal metallen kühle Färbung. Doch nicht nur die neue Instrumentierung macht den Unterschied, es ist auch das Ändern von Rhythmen und Betonungen, sodass man sowohl an Musik aus der Oper, einem Sambaabend und einer 90er Sitcom erinnert wird. Auch intime Stimmungen gelingen, als Alfredo Violetta umschmeichelt und sein Gesang nur zart untermalt wird, doch dann wird man plötzlich mit einem elektronischen Weckergeräusch aus der romantischen Illusion gerissen.
Es mag sein, dass manche Opern ihre Längen haben, aber für mich sind auch sie Teil dieses magischen Musikkonstrukts, denn Schönes wie Trauriges muss gehört, empfunden und auch verarbeitet werden. In der Wiener Traviata ist für das „Sackenlassen“ einer großen Arie keine Zeit. Doch dies scheint gewollt, spiegelt es doch die in unserer Gesellschaft so oft zu findende Ruhelosigkeit und Flüchtigkeit wider. Auch das Tempo wählte Dirigent Kalle Kuusava ungewohnt straff, sodass die Hektik an manchen Stellen noch deutlicher zu Tage trat. Erst im zweiten Akt, als Giorgio Germont (in dieser Inszenierung Alfredos Bruder) gesungen von Matteo Loi auftritt, schien der richtige „Beat“ gefunden zu sein.