In Amerika ist alles ein bisschen größer: Wasserfälle in Canyons, Eisberge im Colagetränk, Hochhäuser am Highway. Tellerwäscher können dort Millionäre werden oder steigen vom schlecht entlohnten Job an der Supermarkt-Kasse zur Gattin eines superreichen Milliardärs auf. Genau das ist die Story von Vickie Lynn Hogan, die aus ärmlichen Verhältnissen in Texas stammte und Fotomodell, Playmate und Schauspielerin in Low-Budget-Sexfilmen wurde. Da hatte sie sich den Künstlernamen Anna Nicole Smith zugelegt. Das eigene Glück schmieden: dieser uramerikanische Traum machte sie schon zu Lebzeiten bekannt, geradezu zum Vorbild, und auch in Europa wurde ihr kometenhafter Aufstieg und ebensolches Verglühen von der Klatschpresse aufmerksam beobachtet. Anna Nicole starb 2007, nach nur einjähriger Ehe mit dem 90-jährigen Ölmilliardär Howard Marshall an einer Überdosis von Medikamenten. Marshall hatte sie in seinem Testament nicht berücksichtigt; lange Prozesse um das Erbe, schlechte Beratung durch ihren Manager Stern und Drogenkonsum hatten sie wieder in Geldnot stürzen lassen.
Bezeichnenderweise ist ihre Lifestory in Amerika danach nur wenig beachtet worden. Zwei Briten haben die Geschichte zum Inhalt einer modernen Oper gemacht, dabei auf Annas Leben eine durchaus europäische Sicht geworfen, die den amerikanischen Weg einer Self-Made-Woman aus der Ferne eher kritisch betrachtet. Richard Thomas, selbst Musiker, Komponist und Comedy-Autor, verfasste das Libretto, dem der flüssige Umgang mit treffendem Wortwitz, derb-zotiger Wortwahl und Situationskomik anzumerken ist. Mark-Anthony Turnage (*1960) war Schüler von Oliver Knussen und Gunther Schuller, wurde von Hans Werner Henze gefördert. Schon in frühen Kompositionen wie Three Screaming Popes offenbarte die Mischung aus Jazz und klassischen Stilen seinen eigenen Weg zwischen Moderne und Tradition: kraftvolle, oft melodisch einfache und von rhythmischen Mustern geprägte Musik, immer wieder disharmonisch und doch einnehmend, zwischen Stravinsky, Bernstein und Birtwistle angesiedelt. Für Anna Nicole komponierte er 2011 einen wiederholt schroffen Wechsel zwischen Musicalsound und Realityshow einerseits und klassisch-jazzigen wie opernhaften Elementen: eine dauernd fetzige Flut von grell bebilderten Szenen und mitreißenden Songs und Ensembles, die an Emotionalität nichts vermissen lassen.
Jens-Daniel Herzog, damals Intendant der Dortmunder Oper, hatte sich die Rechte für die deutsche Erstaufführung von Anna Nicole gesichert und als Regisseur bereits 2013 mit seinem Ensemble großen Erfolg. Seit Saisonbeginn im Staatstheater, ist dies auch seine zweite Nürnberger Regiearbeit, die imponierend, ja spektakulär in der Charakterisierung einer „amerikanischen Passion“ gelang. Wieder lässt das Bühnenbild (Frank Hänig) in einen weiten offenen Raum blicken, der mit wenigen Utensilien zu Leichenhalle, Private Club, Hochzeitssuite oder Kreißsaal verändert werden kann. Sibylle Gädeke steckt ihre Protagonisten in die passenden Südstaatenklamotten und den Chic der 90er Jahre.