Ein tolles Timing: vor zwei Wochen bekam die südkoreanische Komponistin Unsuk Chin in München den internationalen Ernst von Siemens Musikpreis 2024 überreicht, gestern wurde ihre Oper in acht Szenen Alice in Wonderland (2004-07) zum ersten Mal in den Niederlanden gespielt. Die konzertante Aufführung mit dem Chor und Orchester des niederländischen Rundfunks unter Markus Stenz fand in Anwesenheit der Komponistin statt. Das Publikum (darunter meine 13-jährige Tochter, die mich zum ersten Mal in ein Konzert begleitete) war einhellig begeistert!
Librettist David Henry Hwang, der auch Librettos für Phillip Glass schrieb, folgt weitestgehend der Handlung des berühmten Kinderbuchs von Lewis Carroll und veränderte nur den Schluss in eine Traumszene, in der Alice Blumen sät, die sich in ein strahlendes Licht verwandeln. Chin sagt dazu: „Meine Musik ist das Abbild meiner Träume. Die Visionen von immensem Licht und von unwahrscheinlicher Farbenpracht, die ich in allen meinen Träumen erblicke, versuche ich in meiner Musik darzustellen als ein Spiel von Licht und Farben, die durch den Raum fließen und gleichzeitig eine plastische Klangskulptur bilden, deren Schönheit sehr abstrakt und auch distanziert ist, aber gerade dadurch unmittelbar die Gefühle anspricht und Freude und Wärme vermittelt.“
Die zweistündige Oper beginnt mit einer anderen Traumszene, in der das groß besetzte Orchester es Gloria Rehm in der Titelpartie kurzzeitig schwierig machte, sich mit ihrer wunderschön wendbaren Stimme durchzusetzen. Aber diese Unausgewogenheit dauert nur kurz und macht schnell Raum für eine stimmliche und schauspielerische Glanzleistung. Rehm prägt diese konzertante Opernaufführung und ist fast durchgehend auf der Bühne des Amsterdamer Concertgebouws, während die acht weiteren Gesangssolisten je nach Rolle von links oder rechts auf- und abgehen. Da in den Übertiteln auch ein Teil der Regieanweisungen mitzulesen sind und die Solisten ihre Kostüme minimalistisch an ihre Rollenwechsel anpassen, ist die Handlung der Oper auch ohne Kenntnis der Literaturvorlage bestens zu folgen.
Vor allem aber der schauspielerische Elan aller Sänger machte diesen Opernnachmittag zu einem ungewohnt fabelhaften Erlebnis. Mit einem ausgezeichneten fast wagemutigem Gefühl für den richtigen Zeitpunkt stürmte der exzellent aufgelegte Countertenor Scott Hendricks mit seiner ersten Textzeile „Ich bin zu spät!“ auf die Bühne. Als eine Art Zeremonienmeister in einem altmodisch geschnittenen Frack brachte er mit seiner kräftig tragenden Stimme die Handlung immer wieder in Fahrt. Tenor James Kryshak war mit seinen fünf Rollen wohl der wandlungsfähigste Solist, der nicht nur über viel Humor verfügte, sondern auch im virtuosen Schnellsprechen alle Rekorde brach.