Zwanziger Jahre, die als „Golden“ in die Geschichte eingingen? Sicher nicht die derzeitigen! Vor hundert Jahren aber, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und politischen Putschversuchen, wuchs ab 1924 in Berlin und europäischen wie amerikanischen Großstädten vor allem das kulturelle Leben: volle Kinos und Konzerthäuser, wildes Nachtleben und künstlerische Blüte. Ein wirtschaftlicher Aufschwung sowie eine zunächst stabile politische Lage förderten Hochstimmung und prunkvolles Leben in die Metropolen.
Die Berliner Philharmoniker haben mit ihrem Chefdirigenten Kirill Petrenko kürzlich das Online-Festival „Die Goldenen Zwanziger“ unter anderem mit Kurt Weills Erster Symphonie begonnen. Im zweiten Konzert nun rückte das Orchester der Karajan-Akademie in den Mittelpunkt: herausragende junge Musiker erleben neben ihrer Hochschulausbildung Einzelunterricht, Kammermusik und Konzerterfahrung mit den Spitzenmusikern des Weltklasse-Orchesters. Jugendliche Stipendiaten in der Philharmonie Berlin und eine ebenso junge Dirigentin, die ihre erfolgreichen Zwanziger gerade hinter sich gelassen hat: am Pult Marie Jacquot, die bis 2019 erste Kapellmeisterin am Mainfranken-Theater Würzburg war, an der Bayerischen Staatsoper bei Petrenko assistierte und nun Kapellmeisterin an der Deutschen Oper am Rhein ist.
Mit Bedacht war die Programmfolge ausgewählt worden, denn dass die Zwanziger für viele nicht golden waren, hat Hans Eisler in seinen Kompositionen beschäftig. Zum Filmstreifen Kuhle Wampe aus dem Jahr 1932 komponierte er die Musik und fasste sie später in einer Suite zusammen. Aufrüttelnde Bilder über das bittere Schicksal einer Arbeiterfamilie während der Weltwirtschaftskrise: Eislers Musik für Bläser, Schlagwerk, Celli und Kontrabässe ist spröde und unverblümt, schneidende Bläserfanfaren und motorische Schlagzeugrhythmen unterstützen die Assoziationen zwischen Klang und Handlung, wenn die Arbeiter früh mit den Rädern zu den Orten hasten, wo es Geld zu verdienen gibt und viele dabei auch leer ausgehen. Erschütternde Szenen und Schicksale spielten sich da in der Musik ab, Marie Jacquot motivierte das Orchester zu scharfen Akzenten und ausdrucksvoller Dynamik, drückte aufs Tempo, modellierte in klarer Gestik ihren Wunschklang. Gestopfte Trompeten und Klarinetten gaben im zweiten Satz Momente des Ausruhen, fast bizarren Varieté-Elan, von den Instrumentalsoli mitreißend in die bedrückende Bildersequenz eingebunden.