Die immer wieder trivial geäußerte Überzeugung, Geschichte müsse nicht trocken daherkommen, veranschaulichte das Tempesta di Mare Ensemble aus Philadelphia mit dem der Wiener Hofmusikkapelle gewidmeten Mai-Konzert seiner Online-Saison, in dem es gleichzeitig Werke eines vor eigentlich exakt 249 Jahren verstorbenen Österreichers erstmals auf amerikanischem Boden aufführte. Johann Georg Reutter der Jüngere ist der Name dieses Notenschöpfers, der als letzter barocker Leiter der Habsburger Kaiserhof-Institution fungierte, die zu dessen Zeit bereits auf eine knapp fünfhundertjährige Historie zurückblicken konnte.
Anno 1296 findet sich eine Urkunde zur Gründung einer Musikgruppe für die Burg zu Wien, die aus Vokalisten, einem Knabenchor und einem Organisten für geistliche Anlässe sowie einem militärischen Trompeten- und Paukenconsort für die weltlichen Repräsentationszwecke bestand. Mit der Zeit vom Mittelalter zur Renaissance mauserte sich die Kapelle zum großen Orchester von Hofmusikern, denen ein Kapellmeister übergeordnet war. Zunächst stellten Belgier, zur Blütezeit des Barock dann Italiener den Großteil der Mitglieder. Unter ihnen waren Francesco Bartolomeo Conti, Antonio Caldara, Lehrer vom jüngeren Reutter und Vizekapellmeister unter Johann Joseph Fux, dem Vorgänger von Reutters Vater, Johann Georg dem Älteren.
Die Tradition der Musik für Trompeten und Pauken hielt sich – wie der aristokratische Glanz und Pomp zu bestimmten Gegebenheiten es eben erforderte – bis weit in die Barockzeit, zu dessen Höhepunkt die Oper zweifellos das Maß des Weltlichen, besonders auch am Wiener Hof, darstellte. So ebenfalls bei Reutter & Co, mit der Folge, dass neben Contis schmissigem Don Chisciotte-Schlager Reutters Intrada zu La speranza assicurata mit ihrem extravaganten, schon neu-galanter verspielten Formstil mit wagemutigen, heikel-gesteigerten Clarinen den individuellen Einstieg ins Programm von Tempesta di Mare lieferte. Eine weitere – nicht näher zuordenbare, von Orchester-Direktor Richard Stone transkribierte, in Wiener Archiven schlummernde – Intrada bildete in chronologischer Entwicklung zudem den nur wortparadoxen, festlichen Auszug aus dem Stream. In dieser offenbarten sich folglich die eklatant klassischen Idiome der 1760/70er Jahre mit neblig-kühl angehauchten Streicherzwischentönen und besonders auch den leitend wie leidend betonten trottigen Zügen Haydns prägender Theatralik. Ebenfalls typisch dissonant-harmonische, unkonventionellere Ohrdehnübungen im Gang der Zeit verdeutlichte dagegen die dazwischen liegende Sinfonia, bei denen die Holzbläser aus Traversflöten, Oboen und einem Fagott lediglich ein bisschen starr und brav agierten.