Das Manchester International Festival hatte dieses Jahr den britischen Geiger und Dirigenten Hugo Ticciati zusammen mit der Manchester Camerata und einem zeitgenössischen Programm eingeladen. Gleich drei Uraufführungen hatte der ältere Bruder von Robin Ticciati, der seit 2017 Chefdirigent des DSO Berlin, aus Schweden mitgebracht, wo er seit fast 20 Jahren wohnt. 2019 hatte er dort den Kompositionswettbewerb O/Modernt (Schwedisch für Un/Modern) ins Leben gerufen. Nicht nur die diesjährigen Preisträger Julieta Szewach und Paul Saggers standen auf dem MIF-Programm, sondern auch zwei Stücke einer der Juroren des diesjährigen Wettbewerbs, Dobrinka Tabakova. Zusammen mit Ticciati war die gebürtige Bulgarin, die im nächsten Jahr das Pflichtstück im ARD Quartettwettbewerb schreibt, auch Mitkuratorin dieses besonderen Konzerts in Manchester Central, dem 140 Jahre alten Wahrzeichen der Stadt.
Tabakova und Ticciati hatten einen halbdurchsichtigen Zeltbau in der Mitte der Halle errichten lassen und diesen ungewöhnlichen Konzertsaal mit einer aufwendigen Lichtshow ausgeleuchtet. Zu Beginn des Konzerts kamen die Musiker aus verschiedenen Richtungen auf die runde, zur Mitte hin aufsteigende Bühne inmitten des Zeltes. Schon während dieses Hereinkommens improvisierte die Manchester Camerata mit geheimnisvoll geflüsterten Klängen und setzte damit den Ton für einen mitunter verwirrenden Konzertabend.
Die Zuschauer mussten sich an diesem Abend auf sehr viel Neues einlassen. Zuallererst standen die meisten Musiker mit dem Rücken zum Publikum, da Ticciati auf einer Erhöhung im Zentrum der Bühne stand und von dort aus musizierte und dirigierte. Alle sechs Stücke, Tabakova‘s The Patience of Trees wurde am Ende noch einmal paraphrasiert, flossen ineinander über, das improvisierte Klanggeflüster vom Konzertanfang diente zwischen den Musikstücken jedes Mal wieder als Zwischenspiel. Zusätzlich wurde nicht nur in den Umbaupausen, sondern auch während der Auftritte fantasievoll mit der Beleuchtung gespielt. So bekam man den Eindruck eines aus verschiedenen Teilen zusammengesetzten Gesamtkunstwerkes, in dem es scheinbar ebenso viel um das den verschiedenen Stücken Gemeinsame ging, als um die individuellen Kompositionen.
Steve Reichs dreisätziges New York Counterpoint für Klarinette und Band, auf dem zehn Klarinetten und Bassklarinetten aufgenommen waren, bildete in diesem Musikreigen ein bewährt-bekanntes Ankerstück mit seinen rhythmisch übereinandergeschichteten Großstadtsignalen und melodischen Zitaten. Die Soloklarinettistin der Camerata, Fiona Cross, setzte ihre raue Klarinettenstimme elegant unerschrocken und präzise getimt ins kalte Scheinwerferlicht.