Extraordinary city. Extraordinary orchestra. Außergewöhnliche Stadt. Außergewöhnliches Orchester. Nicht viele Ensembles auf der Welt können das von sich behaupten, noch weniger können das auch belegen. Aber im Falle der Bamberger Symphoniker, die mit diesem Motto eine neue Werbekampagne anführen, beschreibt es genau das überlebensgroße Charakteristikum eines internationalen Orchesters aus einer bayerischen Kleinstadt.
"Ich möchte der Musikindustrie zeigen, was für ein Juwel wir hier haben, und warum das etwas ganz besonderes ist,” sagt Bamberger Intendant Marcus Rudolf Axt.
Jeder Orchestermanager der Welt empfindet so. Aber nicht jedes Orchester kann eine UNESCO Welterbe-Stadt im Herzen Zentraleuropas seine Heimat nennen, oder kann sich mit einem Stammbaum rühmen, der bis zur Premiere von Don Giovanni im Jahre 1787 zurückreicht und Ereignisse der turbulentesten Zeit der modernen Geschichte nachvollzieht. Und nicht jedes spielt mit dem, was Chefdirigent Jonathan Nott knapp als “cognac-farbenen Klang” bezeichnet.
Und doch hat Axt es mit den gleichen Problemen zu tun wie viele seiner Kollegen: “Wenn ich eine Agentur in London anrufe, oder jemanden in den USA am Telefon habe, dann ist die erste Rektion ‘Bamberg?’ Also suchen sie das in Google und sagen ‘Oh, es ist ein deutsches Provinzorchester.’ Aber das ist nicht wahr - genau das sind wir nicht.”
Experten kennen das Orchester als berühmtes Ensemble, das seit Jahrzehnten ein Fahnenträger für zentraleuropäischen Klang und Tradition ist, und das nicht nur in Europa. Noch lange bevor Tourneen obligatorisch für große Orchester wurden, schlugen die Bamberger neue Wege in Amerika ein. 1954 besuchte das Orchester zunächst Mexiko und Brasilien, und kehrte 1962 für eine Monatstour durch Mexiko und sieben südamerikanische Länder zurück. In den Vereinigten Staaten präsentierte sich das Ensemble 1954 zum Debüt in der Carnegie Hall und ist seitdem in insgesamt 37 Städten aufgetreten, davon in 18 innerhalb einer einzigen Tour im Frühjahr 1973. All das ausgehend von einer Stadt, die nicht einmal einen eigenen Flughafen hat.
In diesem Monat sah man die Bamberger Symphoniker in Wien und Prag, wo es bei seinem Autritt beim Prager Frühlingsfestival Mahlers erste Symphonie und, zusammen mit Violeta Urmana, Strauß-Lieder spielte.
Beim Kaffee vor dem Konzert beschrieb der Intentant den Pragbesuch als Rückkehr zu den Wurzeln des Orchesters. “Die Musiker gehen an diesem Nachmittag durch die Stadt, und irgendwie ist es, als wären wir zu Hause,” sagte er.
Dieses Gefühl aber wurzelt tiefer als in der gut erhaltenen Architektur und dem historischen Charme, die die beiden Städte charakterisieren. Axt hat hart daran gearbeitet, die Abstammung der Bamberger Symphoniker zurückzuverfolgen, und obwohl manche Ergebnisse dieser Recherche noch bestätigt werden müssen, hat er schon jetzt eine bemerkenswerte Geschichte zu erzählen.
Als Mozart seinen Don Giovanni in Prag uraufführte, war das Orchester im Graben des Nostitz-Theaters, so Axt, genau jenes Orchester, das einige Generationen später das Hausorchester des Neuen Deutschen Theaters wurde. In dem halben Jahrhundert nach seiner Eröffnung 1888 entwickelte sich dieses Theater zum musikalischen Kraftwerk, das unter der Leitung von Koryphäen wie Angelo Neumann, Alexander Zemlinsky und George Szell agierte. 1907 präsentierte Mahler dort seine Siebte Symphonie. Als die Nazionalsozialisten 1938 in der Tschechoslowakei einmarschierten, wurde das Theater geschlossen und das Orchester formierte sich neu im Hinterland.
Zwei Jahre später wurde es zurück gerufen, als Propaganda-Minister Joseph Goebbels beschloss, dass er ein deutsches Orchester in Prag brauchte. “Es gibt einen Hinweis darauf in Goebbels’ Tagebuch: Die Tschechische Philharmonie spielt noch immer, wir müssen auch die Musik dort erobern,” erklärt Axt. “Also wurde das Orchester zurückgeholt, in Deutsches Philharmonisches Orchester umbenannt, und Joseph Keilberth als musikalischer Direktor eingesetzt.”
Keilberths Karriere mit dem Orchester war lang und produktiv, begann allerdings nicht vor 1949. Als Prag im Mai 1954 von Russland befreit wurde, floh das Orchester abermals; Keilberth nach Dresden, wo er vier Jahre lang Chefdirigent der Dresdener Staatsoper wurde, und die meisten der Musiker zogen in den Westen, weg von der näher rückenden russischen Armee. Die erste Stadt, in die sie kamen, und die nicht von den Bomben der Aliierten zerstört worden war, war Bamberg.
“Sie fanden dort Unterkunft, was das wichtigste für alle Flüchtlinge war,” so Axt. “Dann wandte sich die Stadt an sie: Kurz vor dem Krieg wollten wir ein Orchester haben, aber es hat nicht geklappt. Jetzt können Sie unser Orchester sein. Wir haben ein leer stehendes Kloster, in dem Sie Konzerte geben können, aber dann sollten Sie sich auch Bamberger Symphoniker nennen.”
Die Musiker brachten einen Klang mit, den Axt als “böhmisch” beschreibt - den warmen, gefühlvollen, kräftigen Stil, der den Tschechen im Blut liegt, und der bis heute die besten Orchester des Landes charakterisiert. “Das ist es, was mich so fasziniert,” sagt Axt. “Wenn man Aufnahmen mit Keilberth aus den 1950ern mit denen von heute vergleicht, so ist doch diese Art von lebhaftem, brennenden Geist eine Konstante. Es war wie eine Lebenseinstellung, ein Gefühl von fröhlichem, gemeinsamem Musizieren, das nach Bamberg kam und dort blieb.”
Geht man davon aus, dass der Klang des Orchesters die Stadt geformt hat, dann ist eine umgekehrte Wirkung genauso bemerkbar. Im Bamberg fanden die Musiker nicht nur ein ähnliches ästhetisches Umfeld, gekrönt von einer Kathedrale auf einem Berg, sondern auch ein treues und enthusiastisches Publikum, das nie davor zurückschreckte, seine Unterstützung anzubieten - und seine Meinung kundzutun.
“Die meisten von uns fahren mit dem Rad den Fluss entlang zur Arbeit, oder laufen entlang dieser 500 Jahre alten Gebäude, und wenn man diese Art von Geschichte atmet, dann hat das auch einen Einfluss darauf, wie man spielt,” erklärt Axt. “Wenn ich am Sonntag zum Markt gehe, kommen Leute auf mich zu und sagen “Das Konzert gestern war wundervoll, aber den Mozart fand ich nicht so toll. Warum spielen Sie nicht mehr Schostakowitsch?”
Aber Bamberg hat ein gewisses Limit: seine Bevölkerung von gerade einmal 70.000 Einwohnern. Während andere Orchester sich damit rühmen können, dass fast zehn Prozent der Einwohner der Stadt zu ihrem regelmäßigen Publikum gehören, und dass sie in jeder Saison 40 Konzerte auf die Bühne bringen, so genügt das hier noch lange nicht, um ein Ensemble von Weltrang zu unterhalten.
“Das Orchester ist zu groß für die Stadt,” bestätigt Axt. “Das ist auch der Grund, aus dem es seit seiner Gründung 1946 immer auf Tour war. Seit 2003 tragen wir auch den Ehrentitel der Bayerischen Staatsphilharmonie, der einige Zuschüsse bringt und uns zum musikalischen Botschafter dieser Region macht.”
So also lockt das Reisen noch immer und führt das Orchester zu etwa 30 Konzerten in Bayern und weiteren 3040 im Ausland. Zudem nimmt Axt gerne Herausforderungen an, die für andere Orchester eine Zwangspause bedeuten würden. So kamen die Bamberger beispielsweise als Gastorchester zum Lucerne Festival, bei dem sie es mit Konzertaufführungen des Gesamten Ring-Zyklus aufnahmen.
Während das Orchester tief in der Geschichte wurzelt, so ist es gleichermaßen zukunftsorientiert. Marcus Rudolf Axt und Jonathan Nott haben sein Repertoire erweitert und eine kräftige Portion zeitgenössischer Musik hinzugefügt. Dazu werden in den nächsten beiden Spielzeiten neue Werke von Jörg Widmann, dem composer in residence des Orchesters, gehören.
In der vergangenen Woche bekam das Publikum in Wien außerdem einen Vorgeschmack auf eine weitere musikalische Besonderheit, das zum ersten Mal in der Spielzeit 2014/15 vorgestellt wird: kurze Zugaben, die Axt bei einer Vielzahl lebender Komponisten in Auftrag gegeben hat (vergleichbar mit dem Projekt 27 Pieces der amerikanische Violinistin Hilary Hahn).
“Wir brauchen Zugaben, wenn wir auf Tour sind, aber ein hübscher Waltzer oder ein slavischer Tanz passt nicht unbedingt immer zum übrigen Programm, also habe ich etwa 40 Komponisten gebeten, ein kurzes Stück zu schreiben, das das tut, was eine Zugabe tun soll - nämlich dem Publikum danken, und ihm ein kleines abschließendes Feuerwerk zu schenken,” sagt Axt. “Gleichzeitig soll es als eine Art Werbung fungieren, indem des dem Publikum bewusst macht, dass es gar nicht so kompliziert ist, Neue Musik zu hören.”
Als ersten Eindruck gab es ein Werk des spanischen Komponisten Mauricio Sotelo zu hören, das Bruckner Nachklang benannt ist und nach Bruckners Symphonie Nr. 7 zu spielen ist. “Drei Minuten 20 Sekunden, mit ein paar Brucknerschen Elementen in der Musik, das hat wunderbar funktioniert,” freut sich Axt.
Dieser Artikel wurde gesponsert von den Bambergern Symphonikern.
Übertragung aus dem Englischen von Hedy Mühleck