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Darkroom des Begehrens: Le nozze di Figaro am Opernhaus Zürich

Von , 17 Dezember 2024

Wiederaufnahmen haben bei Journalisten keinen hohen Prestigewert. Doch sie bringen den Repertoiretheatern ihr Geld ein. Und sie ermöglichen es den Häusern, jungen, noch wenig bekannten Sängerinnen und Sängern eine von der internationalen Presse wenig beachtete Auftrittsmöglichkeit zu geben. Am Opernhaus Zürich gibt es in der Saison 2024/25 (einschließlich Ballett) vierzehn Neuproduktionen und neunzehn Wiederaufnahmen. Eine von diesen ist Mozarts Opera buffa Le nozze di Figaro, eine Regiearbeit von Jan Philipp Gloger aus dem Jahr 2022. Bei der gegenwärtigen Wiederaufnahme wird zwar die unveränderte Inszenierung gezeigt, aber der Dirigent und, bis auf eine einzige Rolle, die gesamte Sängerbesetzung sind ausgewechselt worden. Das gleiche Stück ist dann eben nicht mehr das gleiche Stück. Grund genug, einen Blick auf dieses Ereignis zu werfen.

Le nozze di Figaro (2022)
© Herwig Prammer

Gloger und sein Team (Bühnenbild: Ben Baur; Kostüme: Karin Jud) transformieren den gesellschaftskritischen Aspekt der Oper in die heutige Zeit. Ging es bei Mozart und seinem Librettisten Da Ponte, inspiriert durch das Sprechtheater von Beaumarchais, um den Konflikt zwischen Adel und Bürgertum, so greift die Inszenierung, ganz im Sinne der aktuellen Debatte, das Thema des Machtmissbrauchs und der sexuellen Übergriffigkeit auf, wobei „die oben“ die Täter und „die unten“ die Opfer sind. Grundsätzlich – aber Gloger zeigt kein Schwarz-weiß-Bild, sondern zeichnet auch Grautöne. Zudem verhindert ein echt komödiantischer Zugang zum Stoff, dass die Inszenierung in eine feministische Anklage ausartet.

Der Ewiggestrige punkto Verhaltenskodex ist Graf Almaviva, der glaubt, dieser gelte nur für die anderen, nicht aber für ihn selber. Mit dem Bariton Andrè Schuen ist für diese Rolle ein ausgezeichneter Künstler mit beachtlichem Leistungsausweis gefunden worden. Er gibt Almaviva als herrschaftliche und machtbewusste Erscheinung, als egoistischen Don Juan, der nur das eigene Vergnügen sucht. Seine wandlungsfähige Stimme klingt fallweise majestätisch, verführerisch oder fordernd. Die Zofe Susanna, das Objekt seiner Begierde, ist ebenfalls eine glückliche Wahl. Die Sopranistin Nikola Hillebrand, die bis vor kurzem zum Ensemble der Semperoper Dresden gehörte, ist eine Identifikationsfigur, die man einfach ins Herz schließen muss. Wie sie ihre Intrige gegen Almaviva mit einer Mischung aus Charme und Raffinesse durchzieht, ist großartig. Und stimmlich passt ihr leichter Koloratursopran perfekt für die Rolle.

Le nozze di Figaro (2022)
© Herwig Prammer

Susannas Verlobter Figaro wird bei der Wiederaufnahme vom Amerikaner Andrew Moore gespielt, der zum Ensemble des Opernhauses Zürich gehört. Er gibt die Rolle passend als heiterer, aber etwas naiver Sunnyboy, der die Pläne seiner Verlobten nicht durchschaut. Sein biegsamer Bass-Bariton reicht vom leichtfüßigen Parlando in den Rezitativen bis zur heftig ausbrechenden Verzweiflung über die angebliche Untreue der Frauen in der Arie „Aprite un po‘ quegl’occhi“ im vierten Akt. Die Rolle der Gräfin Almaviva teilen sich zwei Sängerinnen. Warum die im Saisonprogramm angekündigte Elbenita Kajtazi nur bei der Premiere singen durfte und nachher das Feld einer Kollegin überlassen muss, wurde nicht kommuniziert. Kajtazi verfügt über einen warmtimbrierten Sopran, aber einen etwas verschlossenen Charakter. Die Ambivalenz ihrer Gefühlslagen beispielsweise Cherubino gegenüber kann sie nicht überzeugend darstellen.

Cherubino, die fünfte der großen Rollen des Stücks, hinterlässt zwiespältige Eindrücke. Kady Evanyshyn kommt jedenfalls an die Leistung von Lea Desandre bei der Neuproduktion nicht heran. Die junge Sängerin, Ensemblemitglied an der Staatsoper Hamburg, kann sich in ihrem Rollendebüt noch nicht richtig entfalten. Stimmlich etwas eindimensional, bringt sie das Brodeln der pubertären Sexualität dieses Jünglings, der alle um den Verstand bringt, zu wenig zur Geltung.

Le nozze di Figaro (2022)
© Herwig Prammer

Bei den Nebenrollen wird insgesamt der komödiantische Charakter der Figuren herausgehoben. Marcellina (Irène Friedli) erscheint als angriffige Matrone, Bartolo (Jens-Erik Aasbø) als griesgrämiger Doktor, Basilio (Christopher Willoughby) als sympathischer Lebenskünstler, Don Curzio (Martin Zysset) als stotternder Richter, Barbarina (Marie Lombard) als lebenshungriger Teenager und Antonio (Ruben Drole) als notorischer Spaßmacher.  

Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Antonello Manacorda, der nicht derselben Liga angehört wie Stefano Montanari 2022. Während dieser, von der Barockgeige herkommend, Mozarts Figaro ganz im Geiste der historischen Aufführungspraxis erklingen ließ, geht Manacorda handfester und kapellmeisterlicher zu Werke. Schlecht ist dies keineswegs, jedenfalls versteht es der Dirigent, Musikerinnen und Musiker der Philharmonia Zürich sicher durch alle Klippen der heiklen Partitur zu leiten. Ein besonderes Kompliment gehört der Continuo-Gruppe, bei der das Cembalo durch ein Hammerklavier ausgewechselt wurde.

Le nozze di Figaro (2022)
© Herwig Prammer

Den vier Akten der Oper sind vier Stockwerke einer herrschaftlichen Villa zugeordnet: der Keller und der Innenhof des Erdgeschosses, wo die Bediensteten ihre Arbeitsplätze haben, die Beletage, wo die Herrschaften residieren, und der Dachboden, wo sich das erotische Durcheinander der Gartenszene abspielt. Der nur schwach beleuchtete Boden wird, psychologisch fein gedeutet, zum Darkroom des Begehrens. Wenn das Licht wieder angeht, haben sich nicht nur Graf und Gräfin, Figaro und Susanna, Cherubino und Barbarina, sondern auch – man reibt sich die Augen – Marcellina und Basilio sowie Bartolo und Don Curzio als Paar gefunden. 

***11
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“Hillebrand ist [als Susanna] eine Identifikationsfigur, die man einfach ins Herz schließen muss”
Rezensierte Veranstaltung: Opernhaus, Zürich, am 15 Dezember 2024
Mozart, Le nozze di Figaro (Die Hochzeit des Figaro)
Oper Zürich
Antonello Manacorda, Musikalische Leitung
Jan Philipp Gloger, Regie
Ben Baur, Bühnenbild
Karin Jud, Kostüme
Martin Gebhardt, Licht
Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Tieni Burkhalter, Video
Claus Spahn, Dramaturgie
Andrè Schuen, Graf Almaviva
Elbenita Kajtazi, Gräfin Almaviva
Andrew Moore, Figaro
Nikola Hillebrand, Susanna
Kady Evanyshyn, Cherubino
Jens-Erik Aasbø, Doktor Bartolo
Irène Friedli, Marcellina
Martin Zysset, Don Curzio
Christopher Willoughby, Don Basilio
Ruben Drole, Antonio
Marie Lombard, Barbarina
Ernst Raffelsberger, Chorleitung
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Eugenia Parrilla, Tänzer
Yanick Wyler, Tänzer
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