Wiederaufnahmen haben bei Journalisten keinen hohen Prestigewert. Doch sie bringen den Repertoiretheatern ihr Geld ein. Und sie ermöglichen es den Häusern, jungen, noch wenig bekannten Sängerinnen und Sängern eine von der internationalen Presse wenig beachtete Auftrittsmöglichkeit zu geben. Am Opernhaus Zürich gibt es in der Saison 2024/25 (einschließlich Ballett) vierzehn Neuproduktionen und neunzehn Wiederaufnahmen. Eine von diesen ist Mozarts Opera buffa Le nozze di Figaro, eine Regiearbeit von Jan Philipp Gloger aus dem Jahr 2022. Bei der gegenwärtigen Wiederaufnahme wird zwar die unveränderte Inszenierung gezeigt, aber der Dirigent und, bis auf eine einzige Rolle, die gesamte Sängerbesetzung sind ausgewechselt worden. Das gleiche Stück ist dann eben nicht mehr das gleiche Stück. Grund genug, einen Blick auf dieses Ereignis zu werfen.
Gloger und sein Team (Bühnenbild: Ben Baur; Kostüme: Karin Jud) transformieren den gesellschaftskritischen Aspekt der Oper in die heutige Zeit. Ging es bei Mozart und seinem Librettisten Da Ponte, inspiriert durch das Sprechtheater von Beaumarchais, um den Konflikt zwischen Adel und Bürgertum, so greift die Inszenierung, ganz im Sinne der aktuellen Debatte, das Thema des Machtmissbrauchs und der sexuellen Übergriffigkeit auf, wobei „die oben“ die Täter und „die unten“ die Opfer sind. Grundsätzlich – aber Gloger zeigt kein Schwarz-weiß-Bild, sondern zeichnet auch Grautöne. Zudem verhindert ein echt komödiantischer Zugang zum Stoff, dass die Inszenierung in eine feministische Anklage ausartet.
Der Ewiggestrige punkto Verhaltenskodex ist Graf Almaviva, der glaubt, dieser gelte nur für die anderen, nicht aber für ihn selber. Mit dem Bariton Andrè Schuen ist für diese Rolle ein ausgezeichneter Künstler mit beachtlichem Leistungsausweis gefunden worden. Er gibt Almaviva als herrschaftliche und machtbewusste Erscheinung, als egoistischen Don Juan, der nur das eigene Vergnügen sucht. Seine wandlungsfähige Stimme klingt fallweise majestätisch, verführerisch oder fordernd. Die Zofe Susanna, das Objekt seiner Begierde, ist ebenfalls eine glückliche Wahl. Die Sopranistin Nikola Hillebrand, die bis vor kurzem zum Ensemble der Semperoper Dresden gehörte, ist eine Identifikationsfigur, die man einfach ins Herz schließen muss. Wie sie ihre Intrige gegen Almaviva mit einer Mischung aus Charme und Raffinesse durchzieht, ist großartig. Und stimmlich passt ihr leichter Koloratursopran perfekt für die Rolle.
Susannas Verlobter Figaro wird bei der Wiederaufnahme vom Amerikaner Andrew Moore gespielt, der zum Ensemble des Opernhauses Zürich gehört. Er gibt die Rolle passend als heiterer, aber etwas naiver Sunnyboy, der die Pläne seiner Verlobten nicht durchschaut. Sein biegsamer Bass-Bariton reicht vom leichtfüßigen Parlando in den Rezitativen bis zur heftig ausbrechenden Verzweiflung über die angebliche Untreue der Frauen in der Arie „Aprite un po‘ quegl’occhi“ im vierten Akt. Die Rolle der Gräfin Almaviva teilen sich zwei Sängerinnen. Warum die im Saisonprogramm angekündigte Elbenita Kajtazi nur bei der Premiere singen durfte und nachher das Feld einer Kollegin überlassen muss, wurde nicht kommuniziert. Kajtazi verfügt über einen warmtimbrierten Sopran, aber einen etwas verschlossenen Charakter. Die Ambivalenz ihrer Gefühlslagen beispielsweise Cherubino gegenüber kann sie nicht überzeugend darstellen.
Cherubino, die fünfte der großen Rollen des Stücks, hinterlässt zwiespältige Eindrücke. Kady Evanyshyn kommt jedenfalls an die Leistung von Lea Desandre bei der Neuproduktion nicht heran. Die junge Sängerin, Ensemblemitglied an der Staatsoper Hamburg, kann sich in ihrem Rollendebüt noch nicht richtig entfalten. Stimmlich etwas eindimensional, bringt sie das Brodeln der pubertären Sexualität dieses Jünglings, der alle um den Verstand bringt, zu wenig zur Geltung.
Bei den Nebenrollen wird insgesamt der komödiantische Charakter der Figuren herausgehoben. Marcellina (Irène Friedli) erscheint als angriffige Matrone, Bartolo (Jens-Erik Aasbø) als griesgrämiger Doktor, Basilio (Christopher Willoughby) als sympathischer Lebenskünstler, Don Curzio (Martin Zysset) als stotternder Richter, Barbarina (Marie Lombard) als lebenshungriger Teenager und Antonio (Ruben Drole) als notorischer Spaßmacher.
Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Antonello Manacorda, der nicht derselben Liga angehört wie Stefano Montanari 2022. Während dieser, von der Barockgeige herkommend, Mozarts Figaro ganz im Geiste der historischen Aufführungspraxis erklingen ließ, geht Manacorda handfester und kapellmeisterlicher zu Werke. Schlecht ist dies keineswegs, jedenfalls versteht es der Dirigent, Musikerinnen und Musiker der Philharmonia Zürich sicher durch alle Klippen der heiklen Partitur zu leiten. Ein besonderes Kompliment gehört der Continuo-Gruppe, bei der das Cembalo durch ein Hammerklavier ausgewechselt wurde.