1878: in der Kompositionsklasse des Professors Franz Krenn am Wiener Musikkonservatorium sind Gustav Mahler, Hugo Wolf und Hans Rott eingeschrieben. Sie sind eng befreundet, Mahler und Wolf teilen sich zeitweise eine Wohnung. Rott ist einer der Lieblingsschüler von Anton Bruckner, Johannes Brahms steht dagegen ablehnend Rotts erster großer Symphonie gegenüber. Mit Abschlusszeugnis, aber ohne Lorbeeren verlässt Rott 1880 Wien, um im elsässischen Mulhouse eine Chorleiterstelle anzutreten. Zeichen einer psychischen Erkrankung mehren sich, er verstirbt 1884 in einer Psychiatrischen Klinik in Wien an Tuberkulose. Sein musikalischer Nachlass, teils fragmentarisch, ist überschaubar, wird von seiner titanischen Symphonie in E-Dur überragt.
Mahler hatte eine Abschrift von Rotts Symphonie angefertigt, sich bewundernd über seinen Freund geäußert, ohne das Werk aufzuführen. Seine Worte veranlassen erst um 1989 (100 Jahre nach Veröffentlichung von Mahlers Erster Symphonie) den englischen Musikwissenschaftler Paul Banks, das Werk im Archiv aufzustöbern und in Cincinnati die Uraufführung zu organisieren. Trotzdem kommt es selten auf die Konzertprogramme; 2011 war ich von einer packenden Aufführung durch das ORF-Symphonieorchester unter Cornelius Meister bei den Salzburger Festspielen ebenso überrascht wie begeistert.
Ihr 75-jähriges Bestehen feiern die Bamberger Symphoniker in diesem Jahr, und es ist bemerkenswert, dass dazu weniger Rückblick bemüht, sondern unter dem Saisonmotto „Neugier“ Entdeckerlust geweckt wird. Gerade an diesem Abend hatte Jakub Hrůša ein besonders glückliches Händchen in der Programmwahl mit Wolf, Mahler und Rott; im Anschluss reisten die Musiker nach Linz, um beim Brucknerfest 2021, das thematisch insbesondere Bruckners Schülern gewidmet ist, diese Fülle musikalischer Facetten vorzustellen.
Ein hymnisches Trompetensolo (wundervoll zelebrierend Markus Mester), über flirrende Streicher und Flöte, öffnete wie ein Sonnenaufgang den Eintritt in Hans Rotts Symphonie. Es lässt bereits in den ersten Sekunden die Luft anhalten in seinem verklärten Glanz, nahe dem musikalischen Ausdruck Wagners. Das Auftaktintervall, eine aufwärts gerichtete Quarte, wird zentraler Baustein des gesamten, fast einstündigen Werks bleiben. Spannungsreich lyrische Holzbläser (herausragend Barbara Bode an der Oboe) führten in eine erste große Fuge, ganz offensichtlich Rotts Reverenz an seinen Lehrmeister Bruckner. Zusammen mit aufblühenden Choralthemen der exquisiten Blechbläser formte Hrůša die musikalischen Bögen einer weiträumigen Klangarchitektur, die Rott lapidar Alla breve bezeichnet hat.