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Thriller zwischen Weihrauch und Theaterblut: Tosca an der Bayerischen Staatsoper

Von , 24 September 2024

Giacomo Puccinis Oper Tosca spielt im Juni 1800 in Rom vor dem Hintergrund der Napoleonischen Kriege. Der berüchtigte Polizeichef Baron Scarpia lässt den Maler Mario Cavaradossi überwachen, weil dieser dem politisch Verfolgten Cesare Angelotti die Flucht ermöglicht hat. Mehr noch: er begehrt dessen Geliebte, die Sängerin Floria Tosca. Ein Drama, das mit Liebe und Verrat, Folter und Hinrichtung, Mord und Selbstmord starke Akzente setzt.

Lise Davidsen (Floria Tosca)
© Geoffroy Schied

Pünktlich zu Puccinis 100. Todestag wurde dieses große Emotionen widerspiegelnde Musikdrama an der Bayerischen Staatsoper in einer Neuinszenierung des ungarischen Film- und Theaterregisseurs Kornél Mundruczó in den Spielplan genommen. Für Mundruczó, der in München bereits bei Wagners Lohengrin Regie geführt hat, dreht sich das tödliche Liebesdreieck „um nichts anderes als den Konflikt zwischen Staat und Kunst“. Da dieser auch in unseren Tagen gegenwärtig sei, verwebt er das originale Libretto von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa mit Zitaten und Filmfragmenten des 1975 ermordeten, inzwischen aus den Schlagzeilen geratenen italienischen Filmregisseurs Pier Paolo Pasolini, dessen letzte, umstrittene Produktion Die 120 Tage von Sodom die offene Darstellung von Vergewaltigung, Folter und Mord durch ein faschistisches Machtsystem zeigt. Nicht zufällig gab es eine enge Beziehung zwischen Pasolini und der Sängerin Maria Callas, die auch als herausragende Tosca-Interpretin verehrt wurde.

Lise Davidsen (Floria Tosca) und Freddie De Tommaso (Mario Cavaradossi)
© Geoffroy Schied

Monika Pormales Bühnenraum ist ein großer klassizistischer Saal mit bühnenhohen Spiegelflächen, den Weihwasserbecken und Weihrauchfässer auch als Kirchenraum erscheinen lassen; dort vermischt sich Puccinis Handlung des ersten Akts mit Drehszenen zu Pasolinis Film, wenn Männer in Frauenkleidern misshandelt, splitternackte Opfer von faschistischen Soldaten über die Bühne gezerrt, mit Stöcken geschlagen und von einer Polizeigruppe mit Gewehren bedroht werden. Letztlich überzeugt diese Konstellation nicht restlos, wenn gleichzeitig ein rotes Banner der Brigate Rosse entrollt wird: 1975 war Italien mit dem Ministerpräsidenten Aldo Moro von der Democrazia Cristiana nicht mehr faschistisch. Dafür wurde Moro später von den linksterroristischen Roten Brigaden entführt und ermordet.

Vom Spiel in der Kirche bleibt nicht viel übrig: die Kapelle, Rückzugsort für Angelotti auf seiner Flucht, wird durch eine Truhe ersetzt. Cavaradossi fotografiert statt zu malen, Polaroidfotos werden zu Trophäen; am Filmset lautes Klacken der Szenenklappe vor aufwändiger Gerätschaft. Kameraleute und Gefolge laufen geschäftig über die Bühne, Mobilar wird herum geschoben. Viel leere Unruhe im Bühnenraum, die von der eigentlichen Handlung und der Musik ablenkt. Immerhin singen Kinder und Frauenchor ein andächtig dankbares Te Deum, um den vermeintlichen Sieg über Napoleon zu feiern. Statt der intensiv diskutierten Augenfarbe auf dem Gemälde der Madonna hier Leinwände mit blutigen Abdrucken von Bodypaintings nackter Modelle.

Sir Bryn Terfel (Baron Scarpia) und Martin Snell (Mesner)
© Geoffroy Schied

Den diskreten Charme bourgeoiser Wohnzimmer der 70er Jahre mit Plüschsofa, Kristalllüster und offenem Kamin strahlt dann das Reich des Scarpia im zweiten Akt aus. Filmen nicht erlaubt: hier findet die Inszenierung wieder mit intensiver Personenregie zu originalen Intentionen zurück, lässt beim Kräftemessen zwischen Scarpia und Tosca fast das Atmen vergessen. Mundruczó gelingt danach eine sehr atmosphärische Überleitung zum dritten Akt, wenn im Orchestervorspiel vier parallele Videosequenzen aus Mamma Roma und Teorema an die legendäre Bildkraft des jüngeren Pasolini erinnern.

War die Inszenierung keine Offenbarung, ereignete sich diese zunehmend im Orchestergraben. Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv, in München schon bei Bartoks Blaubart, in Bayreuth mit dem Holländer gefeiert, hypnotisierte geradezu das Orchester mit einem völlig unaufgeregten, fein detaillierten Dirigat. Puccinis überschäumende Orchesterfarben wurden vom Staatsorchester mit atemberaubender Brillanz aufgefächert, überzeugten in einer weiten Palette ruhevoller dynamischer Abstufungen. Auch der Staatsopernchor (Einstudierung Franz Obermair) nahm diese Herausforderung eindrucksvoll an.

Lise Davidsen (Floria Tosca) und Sir Bryn Terfel (Baron Scarpia)
© Geoffroy Schied

Die Wiederaufnahme der Münchner Neuinszenierung vom Mai 2024 bringt zwei Rollendebüts am Haus in den Hauptrollen mit sich: Lise Davidsen und Freddie De Tommaso als Tosca und Cavaradossi; beide haben erst kürzlich in Berlin in starken Rollenportraits reussiert.

Lise Davidsen, anfangs ganz Diva mit wehendem Kopftuch und auffallender Sonnenbrille in Callas-Pose, gelang eine hochartifizielle Verkörperung des Auf und Ab der eifersüchtig liebenden Tosca. Bei ihrem Lebensmotto, in Vissi d'arte, vissi d'amore mitreißend gestaltet, rücken Scarpia und die lastende Räumlichkeit in den Hintergrund. Mit gewaltigem Stimmumfang und selbst in fordernder Höhe beeindruckte sie durch klare Tongebung und Schönklang; einzelne wortverwaschene Sätze oder Abschattungen in mittlerem Register konnten die imponierende Phrasierung nicht trüben.

Freddie De Tommaso (Mario Cavaradossi) und Lise Davidsen (Floria Tosca)
© Geoffroy Schied

Mit metallisch glänzendem Tenor bestach Freddie De Tommaso, Engländer mit italienischen Wurzeln. Künstler, Liebender, Republikaner: er leuchtete im Trubel turbulenter Szenenfolgen hell erstrahlend aus der Menge. Im Schlussakt, beim intimen Dialog mit Tosca, fand auch er zu zurückgenommenen Tönen, lyrischem Ausdruck. Bei überirdisch schimmernder Klarinettenmelodie gestaltete er eine hinreißendes È lucevan le stelle, Cavaradossis Abschied vom Leben.

Die ganze Bandbreite gemeiner Folterpraktiken fuhr der Waliser Sir Bryn Terfel auf, herrschte als silber-graue Eminenz mit sanguinischem Überschwang über seine Bediensteten. Ganz analog zu den schauspielerischen setzte er seine herrlichen vokalen Register ein, gerade auch im zweiten Akt. Ein herausfordernder Abend, reich an Bildern, überreich an klanglicher Finesse, der vor einigen Monaten die Premierengäste zu kräftigen Buhs animierte, nun in einhelligen Ovationen für alle Beteiligten gipfelte.


[Anmerkung der Redaktion: Obwohl ursprünglich in der Kritik erwähnt, gab Sir Bryn Terfel nicht sein Haus-Rollendebüt als Scarpia. Dies wurde im Text ausgebessert – ein großes Dankeschön an unsere aufmerksamen Leser*innen.]

****1
Über unsere Stern-Bewertung
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“ein herausfordernder Abend, reich an Bildern, überreich an klanglicher Finesse”
Rezensierte Veranstaltung: Nationaltheater, München, am 23 September 2024
Puccini, Tosca
Bayerische Staatsoper
Oksana Lyniv, Musikalische Leitung
Christoph Heil, Musikalische Leitung
Kornél Mundruczó, Regie
Monika Pormale, Bühnenbild, Kostüme
Felice Ross, Licht
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Kata Weber, Dramaturgie
Malte Krasting, Dramaturgie
Lise Davidsen, Floria Tosca
Freddie De Tommaso, Mario Cavaradossi
Sir Bryn Terfel, Baron Scarpia
Tansel Akzeybek, Spoletta
Paweł Horodyski, Gefängiswärter
Milan Siljanov, Cesare Angelotti
Martin Snell, Mesner
Christian Rieger, Sciarrone
Kinderchor der Bayerischen Staatsoper
Münchner Knabenchor
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