Giacomo Puccinis Oper Tosca spielt im Juni 1800 in Rom vor dem Hintergrund der Napoleonischen Kriege. Der berüchtigte Polizeichef Baron Scarpia lässt den Maler Mario Cavaradossi überwachen, weil dieser dem politisch Verfolgten Cesare Angelotti die Flucht ermöglicht hat. Mehr noch: er begehrt dessen Geliebte, die Sängerin Floria Tosca. Ein Drama, das mit Liebe und Verrat, Folter und Hinrichtung, Mord und Selbstmord starke Akzente setzt.
Pünktlich zu Puccinis 100. Todestag wurde dieses große Emotionen widerspiegelnde Musikdrama an der Bayerischen Staatsoper in einer Neuinszenierung des ungarischen Film- und Theaterregisseurs Kornél Mundruczó in den Spielplan genommen. Für Mundruczó, der in München bereits bei Wagners Lohengrin Regie geführt hat, dreht sich das tödliche Liebesdreieck „um nichts anderes als den Konflikt zwischen Staat und Kunst“. Da dieser auch in unseren Tagen gegenwärtig sei, verwebt er das originale Libretto von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa mit Zitaten und Filmfragmenten des 1975 ermordeten, inzwischen aus den Schlagzeilen geratenen italienischen Filmregisseurs Pier Paolo Pasolini, dessen letzte, umstrittene Produktion Die 120 Tage von Sodom die offene Darstellung von Vergewaltigung, Folter und Mord durch ein faschistisches Machtsystem zeigt. Nicht zufällig gab es eine enge Beziehung zwischen Pasolini und der Sängerin Maria Callas, die auch als herausragende Tosca-Interpretin verehrt wurde.
Monika Pormales Bühnenraum ist ein großer klassizistischer Saal mit bühnenhohen Spiegelflächen, den Weihwasserbecken und Weihrauchfässer auch als Kirchenraum erscheinen lassen; dort vermischt sich Puccinis Handlung des ersten Akts mit Drehszenen zu Pasolinis Film, wenn Männer in Frauenkleidern misshandelt, splitternackte Opfer von faschistischen Soldaten über die Bühne gezerrt, mit Stöcken geschlagen und von einer Polizeigruppe mit Gewehren bedroht werden. Letztlich überzeugt diese Konstellation nicht restlos, wenn gleichzeitig ein rotes Banner der Brigate Rosse entrollt wird: 1975 war Italien mit dem Ministerpräsidenten Aldo Moro von der Democrazia Cristiana nicht mehr faschistisch. Dafür wurde Moro später von den linksterroristischen Roten Brigaden entführt und ermordet.
Vom Spiel in der Kirche bleibt nicht viel übrig: die Kapelle, Rückzugsort für Angelotti auf seiner Flucht, wird durch eine Truhe ersetzt. Cavaradossi fotografiert statt zu malen, Polaroidfotos werden zu Trophäen; am Filmset lautes Klacken der Szenenklappe vor aufwändiger Gerätschaft. Kameraleute und Gefolge laufen geschäftig über die Bühne, Mobilar wird herum geschoben. Viel leere Unruhe im Bühnenraum, die von der eigentlichen Handlung und der Musik ablenkt. Immerhin singen Kinder und Frauenchor ein andächtig dankbares Te Deum, um den vermeintlichen Sieg über Napoleon zu feiern. Statt der intensiv diskutierten Augenfarbe auf dem Gemälde der Madonna hier Leinwände mit blutigen Abdrucken von Bodypaintings nackter Modelle.
Den diskreten Charme bourgeoiser Wohnzimmer der 70er Jahre mit Plüschsofa, Kristalllüster und offenem Kamin strahlt dann das Reich des Scarpia im zweiten Akt aus. Filmen nicht erlaubt: hier findet die Inszenierung wieder mit intensiver Personenregie zu originalen Intentionen zurück, lässt beim Kräftemessen zwischen Scarpia und Tosca fast das Atmen vergessen. Mundruczó gelingt danach eine sehr atmosphärische Überleitung zum dritten Akt, wenn im Orchestervorspiel vier parallele Videosequenzen aus Mamma Roma und Teorema an die legendäre Bildkraft des jüngeren Pasolini erinnern.