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Vladislav Sulimsky und Asmik Grigorian erobern Salzburg als mörderische Macbeths

Von , 07 August 2023

Was ist es, das die mörderischen Macbeths antreibt? Für Shakespeare (und Verdi) ist es der „wuchernde Ehrgeiz”, für Krzysztof Warlikowski ist es ihre Unfruchtbarkeit. In seiner Inszenierung bei den Salzburger Festspielen prophezeien die blinden, aber allsehenden Hexen, dass Macbeth König wird, Banquo aber künftige Könige zeugen wird, während Lady Macbeth sich einer gynäkologischen Untersuchung unterzieht, nach der sie erfährt, dass sie keine Kinder bekommen kann. Bei einer zweiten Beratung mit den Hexen wird Macbeth kastriert, als eines der unheimlichen Kinder eine Voodoo-Puppe sticht. 

Asmik Grigorian (Lady Macbeth) und Vladislav Sulimsky (Macbeth)
© SF | Bernd Uhlig

Hexerei und Wissenschaft werden dadurch unterstrichen, dass Warlikowski in Schlüsselmomenten bedrohlich stummes Schwarz-Weiß-Filmmaterial von Pasolini vorführt: Ödipus Rex und Herodes' Massaker an den Unschuldigen aus dem Matthäus-Evangelium.

Die Macbeths sitzen auf der längsten Bank der Welt im größten Warteraum der Welt, der in der Weite der Bühne des Großen Festspielhauses immer noch klein wirkt. Im Bühnenbild von Małgorzata Szczęśniak gleitet der Hexenzirkel in einem eigenen Abteil auf die Bühne, während für das Festbankett der Macbeths eine riesige Zuschauertribüne heranrollt. Ein hoher Laufsteg ermöglicht einen Blick auf das Kommen und Gehen, und über der Bühne werden Live-Videoaufnahmen projiziert. Es ist eine lebendige Vorstellung. 

Vladislav Sulimsky (Macbeth) und Asmik Grigorian (Lady Macbeth)
© SF | Bernd Uhlig

Auch die Ereignisse überschlagen sich. Asmik Grigorians kettenrauchende Lady Macbeth muss im Laufe der Handlung mehrmals die Robe wechseln – allesamt im Stil der 1930er Jahre –, während die Handlung voranschreitet. Das Gästebett von König Duncan ist eine Krankenhausbahre, man rechnet also offensichtlich nicht damit, dass er die Nacht übersteht. Während des Ensembles, das auf die Entdeckung seiner blutigen Leiche folgt, wird sein Sarg abtransportiert und die Macbeths werden gekrönt. Sie winken gelassen in voller Krönungsmontur und brechen, sobald die Musik aufhört und die Menge sich zerstreut, in Gelächter darüber aus, wie leicht sie mit dem Mord davongekommen sind. 

Vladislav Sulimsky (Macbeth) und Asmik Grigorian (Lady Macbeth)
© SF | Bernd Uhlig

Beim Bankett singt Lady Macbeth ihre Brindisi als Kabarettnummer, während Vladislav Sulimskys Macbeth von einer Vision Banquos heimgesucht wird, die er auf einen Luftballon gezeichnet hat. Als letztes Gericht wird eine Babypuppe auf dem Teller serviert, garniert mit Brokkoli. Guten Appetit.

Warlikowski balanciert das Gruselige mit einigen wirklich starken Momenten aus. In „Patria oppressa”, das vom hervorragenden Chor von den Seiten der Bühne aus gesungen wird, vergiftet Lady Macduff ihre Kinder, um ihnen ein blutigeres Schicksal in den Händen der Macbeths zu ersparen; ihre Leichen werden während Macduffs gequältem „Ah! la paterna mano” vorne auf der Bühne abgelegt. 

Tareq Nazmi (Banquo), Vladislav Sulimsky (Macbeth) und Chor
© SF | Bernd Uhlig

Philippe Jordan dirigierte die Wiener Philharmoniker lebhaft in Verdis Partitur, wenn auch gelegentlich zu laut für einige Sängerinnen und Sänger. Tareq Nazmi war wunderbar klangvoll als Banquo, sein Bass rollte mühelos durch „Come dal ciel precipita”. Jonathan Tetelman sang glänzend als Macduff, sein Tenor erklang mühelos. 

Sulimsky und Grigorian sind beide fantastische Schauspieler – oft in Nahaufnahmen festgehalten – und sie hielten die Vorstellung als magnetisches Titelpaar zusammen. Sulimskys Bariton fehlt es ein wenig an Kraft in der Höhe, aber seine Interpretation war ungeheuer nuanciert. Er hielt die Legato-Linie in seiner Arie „Pietà, rispetto, amore” gut aufrecht, trotzig in „Mal per me” (wiederhergestellt aus der Originalfassung der Oper von 1847). 

Vladislav Sulimsky (Macbeth)
© SF | Bernd Uhlig

Verdi befürchtete, dass seine ursprüngliche Sopranistin, Eugenia Tadolini, in der Rolle der Lady Macbeth zu perfekt klingen würde. „Ich wollte, dass die Lady eine raue, erstickte, hohle Stimme hat... um diabolisch zu sein.” Grigorian erfüllt die Anforderungen. Sie ist kein klassischer Verdi-Sopran, und das macht sie hier umso besser. Es ist auch nicht die größte Stimme, und für das Brindisi ist ein stärkerer Triller erforderlich, aber ihr Gesang war kernig und stählern. Besonders überzeugend war sie in der Schlafwandler-Szene, in der sie sich, eine Lampe umklammernd, die Hände mit Whisky wäscht, bevor sie sich im Waschbecken die Pulsadern aufschneidet.

Asmik Grigorian (Lady Macbeth), Vladislav Sulimsky (Macbeth) und Jonathan Tetelman (Macduff)
© SF | Bernd Uhlig

Doch ihr Suizidversuch scheitert, und sie ist mit Macbeth vereint, zusammengebunden mit dem Lampenkabel, und fordert Macduff auf, sie beide zu erschießen. Aber er kann es nicht. Als die letzten Töne erklingen, sind die Macbeths noch – gerade so – am Leben. Warlikowski scheint die Frage zu stellen, ob wir uns jemals von Tyrannen befreien können... oder bringt das wiederum neue Tyrannen hervor? Die Jugend in der Videoform von Banquos Sohn, der durch den Wald wandert, während der Vorhang fällt, ist unsere beste Hoffnung.


Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.

****1
Über unsere Stern-Bewertung
Veranstaltung anzeigen
“sie hielten die Vorstellung als magnetisches Titelpaar zusammen”
Rezensierte Veranstaltung: Großes Festspielhaus, Salzburg, am 6 August 2023
Verdi, Macbeth
Philippe Jordan, Musikalische Leitung
Krzysztof Warlikowski, Regie
Małgorzata Szczęśniak, Bühnenbild, Kostüme
Felice Ross, Licht
Wiener Philharmoniker
Chor der Wiener Staatsoper
Denis Guéguin, Video
Christian Longchamp, Dramaturgie
Vladislav Sulimsky, Macbeth
Asmik Grigorian, Lady Macbeth
Tareq Nazmi, Banquo
Jonathan Tetelman, Macduff
Evan LeRoy Johnson, Malcolm
Alexei Kulagin, Arzt
Caterina Piva, Diener Macbeths
Claude Bardouil, Choreographie
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