Dreiecksverhältnisse gehören zu den immer wieder im Theater behandelten Themen. Eine Frau zwischen zwei Männern: an der Bayerischen Staatsoper liefen in den letzten Monaten bereits zwei Neuinszenierungen dieser Beziehungskatastrophen über die Bühne, Tschaikowskys Eugen Onegin ebenso wie Debussys Pélleas et Mélisande. Mit Leoš Janáčeks Káťa Kabanová kommt nun eine weitere Variante dieser Liebesgeschichten hinzu.
Janáček lernte Russland auf zwei Reisen kennen; er beschloss, die Tragödie von Schuld, Selbstanklage und Sühne im Schauspiel Gewitter des russischen Dramatikers Alexander Ostrowski mit Musik und Libretto auf die Bühne zu bringen: es werde „die allerzarteste meiner Arbeiten sein“. Janáčeks sechste Oper zeigt erneut, wie eine junge Frau an der Unerbittlichkeit einer Provinzgesellschaft leidet: „Ein leichter Wind würde sie hinwegwehen, ganz zu schweigen von dem Sturm, der über sie hereinbricht.“ Ähnlich wie schon drei Opern zuvor in Jenůfa, die heimlich ein Kind hat, das es nicht geben und das nicht leben darf.
In der Provinz, nahe der Wolga, lebt die junge, tief empfindende Káťa, die mit dem schwächlichen, ganz von seiner Mutter Kabanicha und ihren Standesvorurteilen beherrschten Tichon verheiratet ist. Liebe erlebt sie mit dem an Gefühlskraft ähnlichen Boris. Einzig Varvara, Tichons Schwester, hält zu ihr, steckt ihr den Schlüssel zum Ort eines geheimen Stelldicheins zu. Ein heraufziehendes Gewitter verstärkt Káťas Gewissensbisse so weit, dass sie vor der Dorfgemeinschaft ihre Schuld gesteht und den Tod im Fluss sucht.
Soziale Probleme und Vorurteile der russischen Landbewohner überträgt der Regisseur Krzysztof Warlikowski in eine heutige Umgebung, was freilich kein neuer Ansatz ist. Anstelle der Enge der bäuerlichen Verflechtungen in Ostrowskys Roman zeigt das Bühnenbild von Małgorzata Szczęśniak einen weitläufigen Tanzsaal, in dem sich schon vor Beginn des Werks Paare zu leiser Tangomusik drehen, ein Fantasiebild von später vermisster Harmonie. Reklame und Vitrinenlicht flackern, Snacks werden an kleinen Bistrotischen serviert. Leben findet im eifrigen Herumtragen von Mobilar statt. Nur für die intimere Abschiedsszene der Káťa und des auf Geschäftsreise scheidenden Tichon wird von hinten ein Container-artiger Raum hervorgefahren, der im Stil der Mutter aus den Siebziger Jahren flimmerndes Trash-Fernsehen, rotes Plüschsofa und Retrotapete mit geometrischem Grafikmuster zeigt und wo Káťa fast zur kindlichen Lulu wird. Da findet Warlikowski einen Teil Wahnsinn in ihr, den Hang zum Suizid gar.
Statt der Enge des 18. Jahrhunderts beschreibt Warlikowski die leere Weite, die bei boshaften Scheinheiligkeiten Beziehungsfäden abreißen lässt. Káťa bleibt dort eine Fremde, lebt in ihrer eigenen, parallelen Welt. Dass sie sich anfänglich lange in einen Videoclip hineinspielt, hilft ihrer Beziehung zu Tichon nicht auf die Beine. Kamil Polaks Videotechnik ist beeindruckend, provoziert Szenen großer Betroffenheit, erst recht wenn das Mienenspiel der Figuren dadurch dicht an die Zuschauer heranrückt und man mit den Augen der unaufhörlich Videosequenzen ausgesetzten Generation schaut. Doch wenn Janáčeks Fokus reduziert wird und einer weitläufigen Fülle von Bildern weicht, wird auch die Botschaft des Stücks unscharf. Am Ende füllt die Videoprojektion die Bühne, fast erdrückend, eher Selbstzweck an Stelle von Unterstreichung des seelischen Bankrotts. Zwischen Schaufensterpuppen kleidet Káťa sich um, während „draußen“ das Dorf zusammengekommen ist und über ihren Fehltritt urteilen will. Selbst wenn Tichon die Sache eigentlich unter dem Radar halten möchte, fordert die Kabanicha zorngeladen Konsequenzen.