Silvester, Neujahr, Beethovens Neunte – das gehört für viele Orchester und ihre Zuhörer*innen fast untrennbar zusammen. In Berlin verschreibt sich (unter anderem) das Rundfunk-Sinfonieorchester alljährlich der aus der Arbeiterbewegung stammenden Tradition. Am Pult steht dabei zum Ende des Jahres 2023 Karina Canellakis, bis zum Ende der vergangenen Saison erste Gastdirigentin des Orchesters und gern gesehene Gästin in der Hauptstadt. An ihrer Seite glänzt insbesondere der Rundfunkchor Berlin.

Karina Canellakis © Mathias Bothor
Karina Canellakis
© Mathias Bothor

In einem Jahr in dem Gesellschaften mehr als in den vergangenen Jahrzehnten gewohnt über dem Sternenzelt nach einer zusammenhaltenden Kraft suchen müssen und die Menschheit immer wieder herniederzustürzen droht (und es auch tut) beginnt Beethovens Symphonie Nr. 9 mit Schlusschor über Schillers Ode An die Freude angemessen zögerlich und bedrohlich. Dunkel und rau klingen die ersten Töne des Orchesters. Aufkeimende Hoffnung, zerberstende Einwürfe, gekonnt changiert Canellakis im ersten Satz zwischen den Extremen der Komposition, lotet die Dynamik aus. Nicht ganz leicht macht es Orchester und Dirigentin dabei die schwierige Akustik des Konzerthauses am Gendarmenmarkt, die den Orchesterklang gelegentlich mattiert.

Entsprechend motiviert und feurig stürzt sich das Rundfunksinfonie-Orchester in den Beginn des zweiten Satzes. Mit feinen aber bestimmten Gesten formt Canellakis den rasanten Ritt des Molto vivace – Presto. Ganz im Gegensatz dazu der Beginn des Folgesatzes. Ätherisch-sanft mit feiner Transparenz sucht die Dirigentin die langen Linien des langsamen Satzes. Wie eins scheint das Orchester zu atmen, als das Thema und seine Variationen durch die unterschiedlichen Instrumentengruppen wandelt. Mit der Zurückhaltung ist es zum Beginn des finalen Satzes schließlich wieder vorbei, ehe aus dem scheinbaren Nichts die Celli das erste Mal das Freudenthema verkünden. Dabei setzt Canellakis wieder auf die Sanftheit der vorangegangenen Momente. Kaum vernehmbar zart erklingen die ersten Töne, ehe sich das Orchester zum grandiosen Finale steigert.

Dabei weiß die Dirigentin auch stets über die Macht der Stille, gekonnt setzt Canellakis immer wieder Generalpausen ein. Mit gewohnt resoluter und prononcierter Präzision glänzt der Rundfunkchor Berlin (Einstudierung: Justus Barleben), sodass im Zusammenspiel der Imperativ von Schillers Texten so fragender als gewohnt wirkt, das scheint zu passen zur Lage der Welt. Siobhan Stagg (mit einer Stunde Vorlauf eingesprungen für die erkrankte Louise Alder) und Sophie Harmsen sowie Andrew Staples und Bariton Michael Nagy in der Basspartie komplettierten das Ensemble des Abends. Bravourös meistern die Solist*innen ihre Partien, müssen sich aber durch die Platzierung hinter dem Orchester und einige Meter unter dem Chor auf der Empore in den voller orchestrierten Stellen immer wieder kämpfend Gehör verschaffen. Doch in gewisser Weise passt auch das in eine Zeit, in der die gemäßigten Stimmen nicht immer durchdringen.

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