Thomas Hengelbrock und seine Balthasar-Neumann-Ensembles sind zuverlässig bejubelte Stammgäste im Konzerthaus Dortmund, wo sie eben schon zahlreiche denkwürdige Auftritte bestritten. Mit Julian Prégardien und Regula Mühlemann unter den Solisten für die jetzige Tournee der Missa solemnis Ludwig van Beethovens waren ebenfalls zwei in Dortmund sehr bekannte Bühnenrückkehrer am Start. Der Tenor, der hiesig fünf Konzerte diese Saison absolviert haben wird, bekleidete den Part bereits bei Hengelbrocks letzter Werkpräsentation in Aix-en-Provence 2023, während die Sopranistin hier in Christoph Willibald Glucks Orfeo mit den Ensembles 2022 und vergangenes Jahr im Brahms-Requiem mit Philippe Herreweghe beeindruckte.
Anlässlich jener Aix-Interpretation bezeichnete Hengelbrock die Missa übrigens als „Gipfelpunkt abendländischer Musik, die so vielschichtig ist, dass kein einzelnes Menschenleben ausreicht, um diese Schichten alle freizulegen.“ Um dem im Rahmen eigener Möglichkeiten nahe und noch näher als zuvor zu kommen, betätigten sich die Ensembles mit flutend-berstender Energie für die Öffnung irdischer und himmlischer Grenzen sowohl als Spreng- als auch mit berührendem, gehörig faszinierendem Affekt Namensgeber Neumann alle Ehre machende Baumeister des fast Unfassbaren. Konkreter oder anders ausgedrückt beinhaltete das aufgehende, durchweg fluide wirkende und von immenser dramatischer Durchdringung sprechende Konzept Hengelbrocks das meisterhafte Exerzieren dynamischer und tempovariabler, schimmernd-elektrisierender Kontraste. Solche, die spirituelles Feld und prachtvoll-transzendentes Heim bestellten für feierlichen Gottesdank und geborgenen Auferstehensglauben sowie vorgeschrieben „andächtige“ und ringend-bebende, allgemein inwendig betrachtete politisch-menschliche Erbarmensbitte.
Schon damit Vertrauen symbolisierend, konnte sich typischerweise vom Autografenformat, teils mit gewaltigeren, stets animierenden und sofort von den Ensembles umgesetzten Gesten dirigierender Hengelbrock auf seine Musiker stützen, die fabelhafte Kondition über die nicht ganz 80 Minuten (inklusive der Minute kompletter Stille nach dem Schlussakkord) zu halten. Vokal besonders auf die alles abverlangende Frische der Soprane, damit sich bei etwaigem Nachlassen keine „Schmutzigkeiten“ oder stilistisch übersteuerten Ausreißer in das Strahlen einschleichen, das bei allen überwältigenden Beethovenextremen von rhetorischer Wisperfähigkeit zu betont eloquenter, fesselnder, großzügiger, einheitlicher Klangfülle des BNC glücklicherweise diszipliniert nicht mit Schreien verwechselt wurde. So auch die Solosopraneinsätze Mühlemanns, die wunderbar weiche, kontrollierte Höhenphrasierungen boten.
Generell arrangierte sich das Solistenquartett in den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Messsätze ausgesprochen harmonisch ins musikalische Gefüge, wenngleich Prégardien bei auch zahlreich gut gelungenen, sanft abgerundeten Höhen- und Farbeinwürfen manchmal zu viel presste. Allen voran Mühlemann und ebenfalls höchst eleganter Mezzo Eva Zaïcik wussten mit inniger Festlich- und Nachdrücklichkeit sowie bordeauxgetünchter Wärme zu gefallen. Gabriel Rollinsons Bass zeichnete sich durch beachtlich sonore – etwas hinten liegende – Tiefe und ansonsten erfreulich große Besonnenheit wie lichte Geschmeidigkeit aus.