Berlioz kurios. Das lässt sich nicht nur über die eigenwillige, unverkennbare Art des Komponisten selbst sagen, der einen musikalisch mit revolutionären Farben, Anforderungen und Kontrasten fasziniert, sondern zugleich über das interpretatorische Verhältnis, welches Sir John Eliot Gardiner zu ihm pflegt. Zum Höhepunkt des diesjährigen Berlioz-Jubiläums beschenkt sich der Dirigent mit Benvenuto Cellini selbst, für die er bereits eine eigene Edition aus den drei Versionen des Opern-Erstlings entworfen hatte. Denn gleichzeitig fällt in den Gedenkreigen die Gründung seines Orchestre Révolutionnaire et Romantique vor dreißig Jahren, das sich unter anderem auf die Entdeckung Berlioz' mit Instrumenten der Zeit spezialisiert und seine größten Werke im Rahmen einer fünfjährigen Reihe zelebrierte. Hatte Gardiner das Stück früher schon einmal auf modernem Instrumentarium aufgeführt, von dessen Gage er einen Rinderstall seines Biobauernhofs finanzierte, sollte es beim Musikfest Berlin die neuzeitliche Premiere in „alter“ Praxis geben.
An selbiger Stätte dürfte noch die letzte große Jubiläumsparade Gardiners vor zwei Jahren für Meister Monteverdi in Erinnerung sein. Zurück in dessen Zeit, gar einige Renaissancejährchen davor, fällt die Lebensgeschichte des berüchtigten Cellini, eines genialen Bildhauers und Goldschmieds. Als Papst Clemens gemäß des Librettos ungeduldig nach einer Perseus-Statue verlangt, beginnt das Drama. Weil eine Karnevalsoper, verliebt sich der aufreibend umtriebige Cellini natürlich zufällig in die Tochter des päpstlichen Schatzmeisters Balducci. Wie üblich geht der Plan des Titelhelden, mit der Geliebten durchzubrennen, zunächst fehl, im bunten Gemenge mit dem Widersacher Fieramosca tötet Cellini einen dessen Unterstützer. Um der Bestrafung seiner Verfolger letztlich zu entkommen und an sein amouröses Ziel zu gelangen, gibt es einen Mega-Deal: er wird von der Anklage freigesprochen, wenn die Statue, die er droht, zu zerstören, zum Gefallen des Auftraggebers bis zum Abend fertiggestellt ist.
Wie 2017 wurde Gardiners Monteverdi Choir in die halbszenische Aufführung integriert, die man nun zusammen mit der Regisseurin Noa Naamat erarbeitet hat und in der Figurenzeichnung, Komik und Dynamik herrlich funktionierte. Ob als wahlweise weindürstendes, resigniertes, streikendes, unbestechlich treues Werkstattpersonal, Massenkarnevalstrunkende, strafgerichtskommentierende Schar oder strenge Mönchskommune überwältigte der von Bass Sam Evans einstudierte Chor mit seiner grandios unverwüstlich exakten Klasse, Spiel- und Ausdruckslust im rasanten Chaos. Da wurde tönend flink und ausgelassen gefeiert, anstachelnd gehetzt, kräftig Druck und Spannung erzeugt, sich verschworen zusammengerottet, gedankenvoll die Wende verkündet und geheimnisvoll flüsternd gezischt, alles in sowohl bestechender Organik als auch mitreißend prägnanter Vermittlung der (Un-)Seriösität dieser römischen Episode. Aus seinen Reihen trat neben dem sonoren Alex Ashworth als Fieramoscas zuredender Intrigant Peter Davoren hervor, um als getriebener Wirt den Arbeitern in diesem spaßigen wilden Haufen eine verrückt-schräge Rechnung aufzumachen.