Wie ersetzt man kurzfristig einen Mann, der eigentlich unersetzlich ist? Diese Frage musste sich Intendant Mathis Huber stellen, nachdem klar wurde, dass Altmeister Nikolaus Harnoncourt aufgrund einer Erkrankung das Konzert im Rahmen des Festivals Styriarte nicht wie geplant dirigieren können würde.
Die Wahl fiel schließlich auf die junge amerikanische Dirigentin Karina Canellakis, die „Option Zukunft“, wie Huber dem Publikum mitteilte. Bevor es losging gab es dann aber doch noch einen Auftritt von Harnoncourt – wenn auch nur per Videoeinspielung – bei dem er Canellakis auch seine Partitur mit etlichen Anmerkungen überließ. Der erste Teil des Konzerts, Dvořáks Goldenes Spinnrad, war nämlich als Gesprächskonzert angekündigt, und da Karina Canellakis auch hervorragend Deutsch spricht, führte sie das Publikum in die Geschichte sowie in die Themen und Motive der Symphonischen Dichtung ein.
Das düstere Volksmärchen, das Dvořák 1896 vertonte, handelt von einer jungen Frau, Dornička, in die sich der König verliebt. Ihre Stiefmutter möchte jedoch ihre leibliche Tochter dem König zur Frau geben und lockt Dornička in den Wald, wo sie sie ermordet, ihr danach Hände und Füße abhackt und die Augen aussticht. Der König heiratet daraufhin, ohne es zu merken, die falsche Frau. Während er in den Kampf zieht, findet ein Zauberer die verstümmelte Leiche im Wald und kann Dornička, nachdem er der Stiefmutter mit Hilfe eines Knaben im Tausch gegen ein goldenes Spinnrad Hände, Füße und Augen abgeluchst hat, wieder zum Leben erwecken. Als der König siegreich zurückkehrt und seine Frau zu spinnen beginnt, berichtet ihm das goldene Spinnrad von der grausamen Tat, woraufhin er in den Wald eilt, um Dornička zu finden und schließlich mit ihr Hochzeit zu feiern.
Dadurch, dass Canellakis zunächst jedes Thema kurz anspielen ließ und erklärte, welches Instrument bzw. welche Instrumentengruppen eine Figur oder Stimmung charakterisieren, wurde das Märchen wirklich als solches erlebbar; vor meinem geistigen Auge spielte sich danach die Handlung in tatsächlichen Bildern ab. Das Chamber Orchestra of Europe erzählte die blutrünstige Geschichte mit einer breiten Palette an Farben, wobei die dunklen Momente, zum Beispiel der Mord in kraftvollem Fortissimo, besonders packend gerieten.
Lieblich zart hingegen trat die Solovioline auf als Verkörperung der naiven Dornička, mit romantisch sehnsuchtsvollen Bögen und verletzlich wirkenden Phrasierungen. Als Gegenpart zu ihrem melancholischen Thema fungierte der vom Zauberer geschickte Knabe, der in der Flöte mit jugendlicher Leichtigkeit beschwingt zum Ausdruck kam. Richtiggehend zu schwelgen schien das Orchester in Walzer und Polka am Hochzeitsfest des Königs, in denen Canellakis die Musiker zu flotten Tempi animierte, ebenso wie im strahlenden Schluss, in dem die Fröhlichkeit und Lebensfreude überbordeten.