Vor fast genau fünf Jahren habe ich Christian Tetzlaff schon mal gehört, auch mit dem Mendelssohn-Violinkonzert, im gleichen Saal, mit dem Tonhalle-Orchester unter einem Gastdirigenten. Mein primäres Interesse galt damals dem Klang seiner Greiner-Geige, den ich als warm und volltönend empfunden habe, wie erwartet in der Qualität vergleichbar mit alten Instrumenten, wie sie von der überwältigenden Mehrzahl der Solisten gespielt werden. Die Interpretation jedoch hat mich nicht von den Schuhen gehauen; zu nah war sie an konventionellen Aufführungen. Sie war gut, vielleicht gar überdurchschnittlich, doch ich tat mich schwer, darin das Besondere, eine herausragende persönliche Note zu finden.
Nun wollte ich mir Tetzlaffs Interpretation 2017 nochmals anhören, zumal mit Sir Roger Norrington und dem Zürcher Kammerorchester (ZKO) Partner zur Seite standen, deren Spielweise und musikalische Ansichten mit Garantie unbeeinflusst sind von Traditionen, die sich nach Mendelssohns Tod, vor allem aber im frühen 20. Jahrhundert herangebildet hatten. Eher war zu erwarten, dass Norrington „sein“ Ensemble auch als Ehrendirigent dazu anstacheln würde, die Musik bewusst gegen den Strich zu bürsten. Allerdings ist das bei Norrington nie Selbstzweck, sondern das Resultat ehrlicher und gründlicher Bemühungen, dem Publikum ein Erlebnis zu vermitteln, wie es die Zuhörer zu Mendelssohns Zeit erfahren haben. Diese Erwartung bestand ungebrochen, selbst als Sir Roger sich vor Beginn genüsslich zum Publikum drehte und mit vielsagenden, wenn nicht gar leicht spöttischen Blicken den vollen Saal musterte – wohl sein letztes Konzert hier vor der dreijährigen Renovationszeit.
Nun wird Mendelssohns Violinkonzert weitgehend vom Solopart dominiert; Sir Roger saß in seinem Drehstuhl, schien nur zu überwachen, da und dort Akzenttupfer zu setzen. Allerdings ist zu bedenken, dass der Großteil seiner Arbeit in der Vorbereitung besteht, in Abstimmung mit dem Solisten, und vor allem, dass er seine Leute bestens kennt und ihm mit Willi Zimmermann ein versierter, kompetenter Konzertmeister zur Seite stand. Das tönt nach Routine, was aber dann tatsächlich erklang, war alles andere, nur sicher nicht „wie gehabt“!
Bereits das Tempo des ersten Satzes war deutlich rascher als gewohnt, und erst der schon im zweiten Takt einsetzende Solopart: nicht lyrisch dahinfließend, und später, in den bewegten Segmenten, nicht diese permanente, unermüdliche und oft leere Geschäftigkeit wie man sie üblicherweise (auch in den Klavierkonzerten) hört. Nein! Impulsiv, kraftvoll, dramatisch war diese Musik, mit ebenso scharfen Konturen im Orchester (etwa in der ungewohnten Schärfe der Flöten im Fortissimo, oder natürlich in der Präsenz der Pauken). Die Bläser spielten stehend zu beiden Seiten der Streicher; das erlaubte ein freies Atmen und trug allein schon dazu bei, dass die Musiker mit teils lebhafter Gestik und ansteckender Spielfreude bei der Sache waren: eine reine Freude, die Arbeit des Orchesters zu verfolgen!