Das Klischee, dass sich Opernsänger*innen bei Richard Wagners Bühnenwerken in antiquierten Kostümen, bewaffnet mit Speer und Flügelhelm, gegenüberstehen und im Grunde genommen mehr anschreien als singen, ist längst überholt. Beim Anblick der neuen Götterdämmerung an der Oper Stuttgart sieht man dieses Vorurteil jedoch wieder bekräftigt. Der Ring des Nibelungen, der unter Mitwirkung von nicht weniger als sechs Regisseur*innen entstanden ist, wird nun von Marco Štorman zu Ende erzählt.
Štorman mag sich von einem einzigen Gemälde des symbolistischen Malers Sascha Schneider inspiriert haben: Schneider fertigte Illustrationen für Karl Mays Winnetou-Bücher an und eines der prägnantesten Bilder daraus zeigt den Häuptling gen Himmel ausgestreckt, seine langen schwarzen Haare im Wind flatternd – und hier ergänzt, um die Brücke zum Siegfried-Mythos zu schlagen, mit einem Speer im Rücken. Štorman lässt seine Charaktere daraufhin immer mehr von Schneiders Gemälden auf der Bühne platzieren und gibt ihnen neue Bildunterschriften, um Parallelen zu Siegfried, Brünnhilde und deren Untergang herzustellen – eine Idee, die konstruiert wirkt und leider wenig Aussage und Effekt erzielt.
Brünnhilde scheint oft nur Augen für das heroische Bild Winnetous zu haben, ist ihr eigener Held doch eher ein abgehalfterter Barney Geröllheimer, dem man nur allzu sehr ansieht, dass seine Eltern Geschwister sind. Daniel Kirch in der Rolle des Siegfried muss man es hoch anrechnen, dass er unentwegt den überdrehten Pausenclown gibt und seine ihm aufgetragene Rollengestaltung konsequent durchzieht.
Während Schneiders Bilder von muskulös gestählten Körpern strotzen, die homoerotische, arische Szenen von nordischen Übermenschen evozieren, müssen die Personen auf der Bühne unvorteilhafte Mesh-Shirts und fleischfarbene Kostüme aus juckendem Polyester tragen. Der Auftritt von Hagens Mannen in eben solchen hautfarbenen Kleidern weckt gleichzeitig Assoziationen mit dem Sturm aufs Kapitol und dem Tanz ums goldene Kalb – die mit Goldlack überzogenen Tierschädel ergänzen das archaisch-wirre Bild entfesselter Männlichkeit noch zusätzlich. Die Kostüme von Sara Schwartz werden von den zahllosen Requisiten und Bühnenbauten ergänzt. Das ganze Requisitenlager – ein Brünnhildenfelsen aus Pappmaché, Totempfähle, antike Säulen und angedeutete Kirchenräume mit Kanzel und Orgel – kommen zum Einsatz. Štorman und sein Regieteam präsentieren ein überbordendes Horror vacui aus sinnentleerter Überfülle. Spätestens im zweiten Aufzug hat man jegliches Interesse an seiner Konzeption, aber leider auch an den Personen verloren. Er stellt eine Welt dar, um die es nicht schade wäre, ginge sie sogleich unter.
Der unentwegte Einsatz von Requisiten, das Poltern des Mobiliars, ihre Umbauten und umständliche Szenenwechsel brachten zusätzliche Unruhe in die Produktion und vermochten dennoch nicht über den Mangel einer klaren Regieaussage hinwegtäuschen. Seine spärlich gesäten Ideen bilden kein kohärentes Konzept. Statt einen Beitrag zur Mythenbildung zu leisten, entzaubert Štorman das Ende der Tetralogie und nimmt ihr jegliche Anziehungskraft.
Cornelius Meister und das Staatsorchester Stuttgart untermalten das Geschehen mit einem überaus effektvollen, hörenswerten und sehr präsenten Dirigat. Meisters intensive Beschäftigung mit der Partitur war deutlich zu spüren. Er schuf intensive, rauschhafte Klänge, gegen welche die Solist*innen jedoch immer wieder Mühe hatten, sich Gehör zu verschaffen. Etwas mehr Transparenz und leisere Zwischentöne hätten der musikalischen Interpretation mehr Tiefe verliehen, die man bereits im Geschehen auf der Bühne vermisste. Bereits die einleitende Nornenszene erklang im ungewohnt durchdringenden Forte und blieb für den Abend richtungsweisend.