Hilary Hahn ist ein Phänomen. Als die Münchner Philharmoniker vor etwa 15 Jahren zum ersten Mal mit der damals noch blutjungen amerikanischen Geigerin konzertierten, bekannten einige Orchestermitglieder in der Pause einer öffentlichen Generalprobe mit ungläubigem Staunen, dass sie noch niemals ein derart außergewöhnliches Talent gehört hätten – und diese Musiker haben wahrlich schon viele großartige Solisten hautnah miterleben dürfen.
Was aber macht Hilary Hahns Talent so außergewöhnlich? Ist es die engelsgleiche Reinheit ihres Spiels, die so oft zitiert wird? Oder ihre stupende technische Souveränität, die so gar keine Schwierigkeiten und Herausforderungen erkennen lässt? Oder vielleicht die stets perfekte Tonschönheit, das wunderbar kernige und doch so sanfte Vibrato und ihre Ausdrucksstärke, die jedem noch so kleinen Tönchen eine Seele einhauchen? Es ist wohl all das zusammen, und doch gibt es noch einen weiteren Aspekt, der ihrer Musikalität so einzigartig macht: Ihr untrüglicher Sinn für Phrasierung.
Manche Menschen haben die Gabe, komplizierte Sachverhalte für jedermann verständlich darzustellen. Hilary Hahn gelingt dies ein ums andere Mal bei noch so komplexen musikalischen Ideen. Diese Gabe stellte sie erneut eindrucksvoll unter Beweis bei ihrem Konzert am 24. Januar im Münchner Gasteig im Rahmen ihrer Europa- und USA-Tournee, bei der sie im Wesentlichen das Dvořák- und das Vieuxtemps-Violinkonzert spielt. Begleitet wurde sie dabei von den Wiener Symphonikern unter der Leitung von Lahav Shani, der für den erkrankten Philippe Jordan eingesprungen war.
Nachdem das frisch und frei aufspielende Orchester den Abend mit der Karneval-Ouvertüre (Op. 92) eingeläutet hatte, betrat Hilary Hahn auf die Bühne und man merkte am Raunen des Publikums, dass die meisten Hörer vor allem da waren, um sie spielen zu hören. Das Violinkonzert von Antonín Dvořák k in a-Moll beginnt ungewöhnlich abrupt, indem das slawisch geprägte Hauptthema bereits im fünften Takt von der Solovioline präsentiert wird. Von Beginn an harmonierte die Solistin perfekt mit dem einfühlsam spielenden Orchester und man spürte und sah die große Musizierfreude an den lächelnden Gesichtern und den kleinen pointierten Gesten und Impulsen, die Hahn ins Orchester schickte. Wie sie da inmitten des groß besetzten Symphonieorchesters stand, ihren Oberkörper im Takt der Musik wiegte, tanzte, und damit den musikalischen Herzschlag des lyrischen Dvořák-Konzerts in die Mitte der Bühne und hinaus ins Publikum trug, das wäre auch ohne Ton allerhöchstes Kunstvergnügen gewesen.