Der Sonnenschein, das frische Gras, blühende Blumen und viel Musik waren ein Fest für die Sinne beim Projekt PULSE – AUSSEN: stadtmusik im hippen Wasserturmquartier Berlin-Prenzlauer Berg. Der Wasserturm und sein Gelände, welches eine zentrale Intersektion von sieben Berliner Straßen ist, sind seit 1952 nicht mehr in Betrieb. Allerdings fungiert das Areal heute als eine städtische Idylle, in der man Spielplätze, Liegewiese, Rosen- und Weintraubenhänge finden kann. Insgesamt 200 Musiker – Profi-Musiker, Musikpädagogen, Musikschüler, Musikstudenten, Amateurmusiker aus verschiedenen Genres – kamen hier am Wasserturm zusammen und präsentierten Neue Musik, wobei die Räumlichkeit des Wasserturmquartiers eine starke Rolle spielte.
Genau um 15.00 Uhr fing die Uraufführung Daniel Otts Komposition 1/6 – Wasserturm I–III an, jedoch sah man keine Musiker auf dem Hochplateau, dem Hauptpublikumsraum dieser Veranstaltung. Plötzlich eine Trompetenfanfare aus der Ferne – aber woher? Manche Zuhörer sahen, dass ein Trompeter aus einem Fenster eines anliegenden Haus heraus spielte. Gleichzeitig bewegten sich vier Bläser- und sieben Schlagzeugensembles aus den Nebenstraßen musizierend auf das Hochplateau zu, was das Publikum auf dem höchsten Punkt des Wasserspeichers nicht mitbekommen konnte. Alles war dramaturgisch vom Komponisten geplant, der vor allem für landschafts- und raumbezogene Musik bekannt ist.
Das Publikum auf dem Wasserspeicher wartete ungeduldig und spitzte die Ohren, bis nach etwa zehn Minuten schließlich ein rhythmisches Pattern des ersten Wood Block-Ensembles wahrzunehmen war und die Klänge größer und größer wurden. Als alle Musiker das Hochplateau erreichten, war auch die Anzahl des Publikums immens gestiegen, denn die Musiker faszinierten auf ihrem Weg beim Spielen die Menschen und brachten sie nun als Zuhörer dorthin mit. Knapp 50 Minuten dauerte diese bewegende Musik, wobei der zeitliche Ablauf ganz genau von Daniel Ott vorher bestimmt wurde und den Musikern von sogenannten „guides“ mit Funkuhren die Einsätze gegeben wurden. Dass die Musiker sich aus den Nebenstraßen langsam auf den eigentlichen Auftrittsort zu bewegten, erzeugte eine intensive Dynamik vom dreifachem piano zum dreifachen forte und verwandelte das Plateau mit seiner alltäglichen Idylle in einen Konzertsaal.
Nach dem ersten Stück war das Publikum jetzt bereit, mehr von dieser außergewöhnlichen Musik zu hören. Als nächstes wurde das Stück Labyrinth 14/1 des Komponisten Wolfgang Mitterer uraufgeführt, bei dem die Einsätze der einzelnen Ensembles ebenfalls mit Stoppuhr auf die Sekunde genau auskomponiert waren. Grundlage des Stücks waren vorproduzierte Klänge und Musik, die mit einem lauten Einsatz über eine um den Wasserspeicher aufgestellte, sechskanälige Anlage abgespielt wurden. Überall gab es verschiedene Ensemble-Gruppen wie einen Männerchor, ein Nasenflötenorchester, vier Blaskapellen, sieben Schlagzeuger und vier Solo-Trompeter. So viel musikalische Aktion schien die Zuhörer jedoch etwas zu irritieren. Jedes Ensemble positionierte sich ständig neu im Publikumsraum und fing von Neuem an zu musizieren. Ab und zu rannten die Mitglieder des Chors schreiend zwischen Zuhörern herum. Mitterer stellte hiermit ein determiniertes Musikchaos dar, wobei zufällig erzeugte Geräusche des Publikums wie, Lachen, Reden, Klingelton eines Handys, Babygeschrei etc. genauso dazugehörten.