Die Wiener Staatsoper würdigt Puccinis hundertsten Todestag am 29. November mit einer Wiederaufnahme von Madama Butterfly in der traumhaft ästhetischen Inszenierung des 2008 verstorbenen Oscar-Preisträgers Anthony Minghella (The English Patient). Da kommt man nicht umhin, sich die Geschichte von der schönen Japanerin Cio-Cio-San, die vom amerikanischen Leutnant Pinkerton in einer arrangierten Schein-Ehe geschwängert und verlassen wird, wieder einmal aufs Gemüt schlagen zu lassen: Verliebte Hingabe hier, kaltblütige Gleichgültigkeit da, ein Kleinkind, das die Mutter verliert – leichte Kost war das noch nie.
Die Nachfolgerin der seit 1957 beinahe vierhundertmal gespielten Produktion von Josef Gielen hat es seit ihrer Premiere 2020 erst auf zehn Aufführungen gebracht, doch vielleicht wirkt sie gerade deshalb noch so taufrisch wie die Kirschblüten und all die anderen Fernost-Klischees, die in Madama Butterfly effektvoll verhandelt werden. Allerdings zelebriert diese fast zwanzig Jahre alte Inszenierung, die an der English National Opera entstand und auch an der Metropolitan Opera gezeigt wurde, nicht den Naturalismus, sondern die künstlerische Überhöhung.
Der leuchtend orangerote Hintergrund zu Beginn beschwört das Land der aufgehenden Sonne, und die von Han Feng entworfenen Kostüme der Japaner*innen sind ebenso skulptural wie überraschend bunt. Über die verspiegelte Decke des Bühnenbilds kann man diese Pracht auch von oben und von hinten sehen, und gleichzeitig die eleganten Choreographien von Minghellas Ehefrau Carolyn Choa bewundern. Ersonnen wurden diese genialen Spiegeleffekte von Michael Levine, auf dessen Treppenkonstruktion das Bühnenpersonal wie aus dem Nichts auf die Bühne wandelt und hinter Papier-Schiebewände verschwindet. Stilisiertes Herbstlaub und Pfingstrosen erzählen vom Vergehen der Zeit, und auch Lampions und Origami-Vögel sind mehr als nur Dekoration.
Bei allem Aufwand (es gibt auch drei Puppenspieler und zwei Ballettsolisten, Hsin-Ping Chang als Cio-Cio-San und Andrew Robinson als Pinkerton), wirkt diese Produktion jedoch nie überladen, sondern vielmehr wie eine Visualisierung der von Puccini imaginierten fernöstlichen Klangwelt. Nicht zuletzt lässt sie den Sängerinnen und Sängern viel Raum, ihre Kunst zu entfalten.
Joshua Guerrero gab sein Staatsoperndebüt als herausragender Luigi in Il tabarro, und war zuletzt als Don Carlo in der umstrittenen Serebrennikov-Inszenierung zu sehen – mit Pinkerton folgt nun eine ähnlich undankbare, weil Hit-lose Partie. Wo Carlo jedoch (auch) Opfer seiner Abstammung und politischer Zwecke wird, ist Pinkerton ein Täter mit Sympathiewerten um den Gefrierpunkt. Der Sex zwischen einem Erwachsenen und Cio-Cio-San, einer zumindest vorgeblich Fünfzehnjährigen, wäre im heutigen Österreich strafbar. Erschwerend kommt deren finanzielle Zwangslage hinzu, und die moralische Verwerflichkeit, dem verliebten Mädchen eine gemeinsame Zukunft in Aussicht zu stellen. Puccini hat für Pinkerton streckenweise Musik komponiert, die man kaum „schön“ singen kann. Sie spiegelt Herz, Geist und Trieb eines Schlapfen- und Bierbauch-tragenden Sextouristen, auch wenn dieser Marineleutnant in makelloser Uniform auftritt. Guerrero gelingt es dennoch, dieser Figur ein wenig Sympathie einzuhauchen, indem er Cio-Cio-San zunächst ehrlich zugetan scheint. Stimmlich wirkte er anfangs eher angestrengt, fand aber am Ende des ersten Aktes, der in die Hochzeitsnacht mündet, zu Form und Leidenschaft.