Der Vorhang hebt sich, der Blick fällt auf die betongraue Asservatenkammer eines fiktiven Kostüminstituts im fernen Yuste. Noch bevor Philippe Jordan auch nur den Taktstock heben kann, schallen aus den Rängen lautstarke „Buuuuuhs!” herab. Es folgen unverständliche Lacher aus dem Parkett, doch es sollte an diesem Abend nicht besser werden.

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Don Carlo
© Frol Podlesnyi

Nun ist der unermüdliche Kampf von Feinden des Regietheaters in den Kommentarspalten auf Social Media weiß Gott nichts Neues. Doch mit dieser Inszenierungen von Guiseppe Verdis Don Carlo bringt die Wiener Staatsoper dieses Thema zum Saisonauftakt scheinbar direkt auf die Bühne.

Ein Kampf quasi so alt wie die Oper selbst. Bewahren oder erneuern? Museum oder künstlicherische Freiheit? Und wahrscheinlich genau hier hat Kirill Serebrennikov Anknüpfungspunkte an das Libretto für seine Interpretation gefunden. Denn auch in der hier aufgeführten Mailänder Fassung mit vier Akten ist das Kernthema des Dramma lirico im Grunde die Freiheit.

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Asmik Grigorian (Elisabetta) und Joshua Guerrero (Don Carlo)
© Frol Podlesnyi

Die Freiheit, oder vielmehr Unfreiheit, von Don Carlo seine Elisabetta zu ehelichen oder die Unruhen in Flandern zu schlichten. König Philipp II. wiederum muss sich mehr und mehr dem Dirigat der Kirche unterwerfen, während Eboli und Rodrigo ihrerseits Gefangene der vorherrschenden Machtstrukturen sind. Schlussendlich fallen sie alle dieser Unfreiheit zum Opfer.

Wo wüsste man besser, wie schnell man am strikten Korsett des Spanischen Hofzeremoniells zugrunde gehen kann, als in Wien? Die Idee nun, Schillers Beziehungsdrama zwischen der Belegschaft eines futuristischen Museums durchzudeklinieren, hätte das komplexe Monumentalwerk durchaus nahbarer werden lassen können.

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Ève-Maud Hubeaux (Eboli) und Roberto Tagliavini (Filippo II)
© Frol Podlesnyi

Auf der Bühne stehen Doubles der Protagonisten, die Schritt für Schritt in historisch authentische Prunkgewänder gekleidet werden. Mit jeder Schicht an Brokat, Seide und Perlen, die aus einheitsgrauen Solander-Boxen mit weißen Handschuhen geborgen werden, schaufeln sie ihr eigenes Grab.

Der Chor schaut, Museumsbesuchern gleich, von oben durch die Glasscheibe auf die betonerne Gruft herab, die nicht durch Zufall genau im spanischen Yuste liegt, wo sich damals Karl V. in die Einsiedelei zurückziehen und schließlich fernab vom Hof sterben sollte.

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Don Carlo
© Frol Podlesnyi

Was allerdings als gute Idee beginnt, verliert sich in der Komplexität und in zu vielen Requisiten. Klimaaktivsten gleich, kleben sich die unterdrückten Flandern an die ausgestellten Kostüme, plötzlich wird auch Kinderarbeit in Sweatshops in Südostasien und Überkonsum thematisiert. Das reicht Serebrennikov scheinbar nicht und so wird auch die Verschmutzung der Weltmeere und das Waldsterben im Amazonas, zwischen Videoproduktion und Statisterie, angeschnitten.

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Don Carlo
© Frol Podlesnyi

Verloren geht dabei genau das, was sich Befürworter von modernen Interpretation wünschen: eine zeitgenössische Verortung und ein Herausarbeiten des tieferen Sinns. Dabei ist die Bühne durchaus intelligent, ja fast grandios, und gibt sowohl den Solisten als auch dem großen Chor viel Raum, um zu brillieren. Nein, diese Inszenierung scheitert allein am Unvermögen von Serebrennikov, seine Vision zu einem Guss zu vereinen.

Statt politischer Botschaften, verliert er sich im Historismus. Statt ausgeklügelter Regie, lässt er die Solisten nur von der Rampe singen – und selbst da geht ihre Leistung noch aufgrund des reizüberflutenden Requisiteninfernos verloren. Leider!

Asmik Grigorian (Elisabetta) © Frol Podlesnyi
Asmik Grigorian (Elisabetta)
© Frol Podlesnyi

Dabei gibt Asmik Grigorian eine bemerkenswerte Elisabetta, die zwar Reife kennt, aber durchaus auch jugendliche Zerbrechlichkeit durchschimmern lässt. In ihrer letzten große Arie „Tu che le vanità“ kann sie mit großer Intensität, zwischen Schmerzenstal und tiefer Resignation, selbst noch die hintersten Ränge berühren.

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Joshua Guerrero (Don Carlo)
© Frol Podlesnyi

Joshua Guerrero als Titelheld gelingt, trotz des Klamauks, ein glaubhaftes Porträt des geschmähten Infanten, auch wenn einige wenige Passagen vielleicht etwa zu forciert und klischeehaft wirken. Étienne Dupuis kann da als Rodgrio deutlich entschiedener mit einer vielschichtigen Interpretation des Marquis von Posa und großer Strahlkraft punkten. Auch Eve-Maud Hubeaux darf als verführerisch angriffslustige Eboli nicht unerwähnt bleiben. Farbenreich und sicher schillert ihr Mezzosopran und sorgt so dafür, dass an diesem Abend vor allem die Frauen die Show stehlen sollten.

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Étienne Dupuis (Rodrigo) und Ève-Maud Hubeaux (Eboli)
© Frol Podlesnyi

Philippe Jordan lässt sich derweil, trotz zahlreicher Buhrufe zwischen den Akten, die klar der Regie galten, nicht aus der Ruhe bringen. Der scheidende Musikdirektor versucht zusammen mit dem Orchester der Wiener Staatsoper sichtlich für Einheit zu sorgen. Das ist bisweilen angemessen wuchtig und intensiv aber vielleicht nicht immer jeder intimen Passage zu hundert Prozent gewachsen. Leider geht auch hier ein großer Teil seines beachtlichen Könnens in der Reizüberflutung auf der Bühne unter.

Oper soll kein Museum sein. Dass Kirill Serebrennikov mit dieser Inszenierung ein ebensolches auf die Bühne zaubert, ohne dabei neue Antworten zu liefern, muss als eigentliche Tragik des Abends verbucht werden.

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