Es ist bekannt, dass Komponisten mitunter ihre Vorgänger, wenn nicht als Bedrohung, so zumindest als ihre Kreativität lähmende Last empfunden haben. Doch auch spätgeborene Dirigenten müssen zu Zeiten, in denen von jedem Ort der Welt jede Interpretation eines Werkes abrufbar ist, sich der Aufführungsgeschichte stellen, um ihre eigene künstlerische Identität zu begründen. Konkret und in Bezug auf das hier besprochene Konzert formuliert, ist es nicht leicht für einen Dirigenten, nach Abbado und Rattle Mahlers Zweite mit den Berliner Philharmonikern aufzuführen, die das Werk 1895 aus der Taufe gehoben haben.
Wenn Andris Nelsons, der gerade vor einem Monat 40 Jahre geworden ist, seiner Aufführung von Mahlers Symphonie das Lux aeterna für gemischten Chor, Glockenspiel und Vibraphon der lettischen Komponistin Maija Einfelde voranstellte, dann ist dies mehr als ein Gruß an seine Heimat. In ihrem so schlicht wie sorgfältig gesetzten a-capella-Stück bittet Maija Einfelde um das „ewige Licht“. Der von Risto Joost glänzend einstudierte MDR Rundfunkchor Leipzig ließ die Polyphonie des Stückes dementsprechend in feinsten Farben wie ein Chagall-Fenster leuchten. Das war eine klug gewählte Vorbereitung zu der von fremder Hand „Auferstehungssymphonie“ genannten Zweiten Mahlers, die das Licht nicht allein sucht, sondern wie herbeizuzwingen scheint.
Vom ersten Takt an verlangt die Partitur der Mahlerschen Symphonie den Musikern Extremes ab. Gleich zu Beginn braust ein Rezitativ in den Violoncelli und Kontrabässen unter ruppigem Bogenstrich auf. Nelsons fegte jeden Schönklang hinweg, bevor er einen cantus-firmus in den Bläsern die Gegenstimme zu diesem Bass bilden ließ. Licht kam erstmals in die Musik, als das Seitenthema eine erste Andeutung auf das Finale intonierte. Hier entlockte Nelsons den Musikern so zart wie fragil leuchtende Töne, die wie als lichte Stellen in diesem Kopfsatz stets jenseits der zumeist dunklen Gewalt funkelten, die den Grundduktus dieses Satzes ausmacht. Der Hymnus eines vermeintlich dritten Themas wurde in dieser Aufführung als Variante der Fanfaren des Hauptthemas hörbar. Vor allem bei solchen Momenten spürte man, dass Nelsons in Klängen zu denken verstand, sein Dirigat nicht allein als Klangregie versteht. Gerade da, als das Hauptthema in der Durchführung sich anschickte, die lichten Züge des Seitenthemas in sich aufzunehmen, strafte die falsche Reprise in es-Moll ein solches Hören Lügen. Hier wurden Mahlers Fragen: „Warum hast Du gelebt? Warum hast Du gelitten? Ist alles nur ein großer, furchtbarer Spaß?“ mit aller Eindringlichkeit gestellt. Ganz am Ende des Kopfsatzes gelang es den Musikern, so etwas wie eine introvertierte Katastrophe zu gestalten.