Beim Auftritt eines Gastorchesters vergleicht der Besucher die „Auswärtigen“ unwillkürlich mit dem Hausorchester. Das Philharmonisches Orchester Rotterdam spielt sicher in der gleichen Liga wie die lokalen Spitzen-Orchester—es ist auch von der Größe her vergleichbar, und dennoch präsentierte sich visuell und akustisch ein anderes Bild. Auffällig ist die üppige Streicherbesetzung: Bläser und Schlagwerk wurden von dieser in die hintersten Ränge verbannt. Im Eingangsstück von Tchaikovsky war das Klangbild des Orchesters in Übereinstimmung mit dem visuellen Eindruck: die Vielzahl der Streicher garantierte einen homogenen, satten Klang, zumal wenn sie so diszipliniert und konzentriert spielen wie hier. Die ausgezeichnet agierenden Blechbläser konnten sich im Klangkörper durchaus behaupten, hingegen schienen die Holzbläser eher benachteiligt, sobald die Streicher lauter als mezzoforte spielten. Für das Cellokonzert wurde der Streicherkörper auf etwa die Hälfte verkleinert, und Schostakowitschs umsichtiger Orchestersatz tat ein Übriges, Probleme in der Balance und Durchhörbarkeit zu vermeiden. Für die abschließende Symphonie war wiederum die volle Besetzung angesagt, aber hier war die Transparenz allein schon durch Prokofjews geniale Orchesterdisposition garantiert.
Der sportlich-jovial auftretende Yannick Nézet-Séguin hat 2008 von Valery Gergiev ein ausgezeichnetes Ensemble übernommen und hat es seither verstanden, das Orchester zu seinem Instrument zu machen: die Musiker kennen seine Intentionen, er zeigt sich mit der Partitur vertraut und braucht nicht jederzeit den Takt vorzugeben und zu kontrollieren, sondern kann sich im Konzert mehr darauf beschränken, den Klang zu modellieren, die Musik zu formen.
Francesca da Rimini ist dramatische Musik, in der Tchaikovsky versteht, den Hörer in den Bann des düsteren Geschehens zu ziehen – man wird bei den entfesselten Tongewalten (speziell gegen den Schluss hin) wie von einem Wirbelsturm gleichsam in den Orkus gerissen. Die Schilderung des Geschehens ist sehr plastisch, das Orchester agiert als Einheit, vor allem anfangs vom warmen, runden Streicherklang dominiert, im Schlussteil durch die Massen des Blechklangs stark an die 5. Symphonie erinnernd. Der Mittelteil ist etwas ruhiger: hier erzählt die Protagonistin, verkörpert durch die Klarinette, die Geschehnisse, die zu ihrer Verdammung geführt haben. Mir erschienen die ersten Takte des Klarinettensolos leicht zu tief intoniert, aber ansonsten war die Aufführung routiniert, weitgehend makellos.
Als nächstes hatte Sol Gabetta so etwas wie ein Heimspiel, lebt sie doch seit Jahren in der Schweiz. Sie hat sich für ein äußerst anspruchsvolles Werk entschieden: Schostakowitsch hat sein zweites Cellokonzert Mstislav Rostropowitsch „auf den Leib“ geschrieben – es ist gespickt mit technischen, vor allem intonatorischen Schwierigkeiten, der Solopart ist von Anfang an sehr exponiert. Sol Gabetta meisterte das Konzert aber souverän, ja scheinbar mühelos. Dabei blieb ihre Artikulation klar und agil, die Intonation sauber, der Ton leicht, tragfähig bis ins Pianissimo (auch dank des wohldosierten Orchesterklangs), das Vibrato angenehm, natürlich, nie aufdringlich. Mir gefiel Sol Gabettas Sinn für Humor im ersten Satz, ihr beinahe unbeschwerter Ansatz, der übertriebenes „Sägen“ in den Sechzehntel-Passagen vermeidet.