Les Boréades ou le triumph d'Abaris, Rameaus letzte Oper, die trotz königlichen Auftrags vielleicht aufgrund seines mutigen, fortschrittlich-revolutionären Gedankenguts (C'est la liberté...!) dergleichen Zensur zum Opfer fiel, ist ein spezielles Faszinosum: Nach Alain Villains Rechteerwerb Mitte der 1970er Jahre erst 1982 von Sir John Eliot Gardiner vollständig szenisch uraufgeführt, beeinflusste das Werk der Reihe nach Musikerpersönlichkeiten oder führte zu aufflammenden Anfängen von Dirigentenkarrieren, um nur Sir Simon Rattle und Marc Minkowski zu nennen. Dieses erreichte jetzt auch Václav Luks und sein tschechisches Ensemble Collegium 1704, die eine streng konzertante Version beim Utrechter Oude Muziek Festival aufspielten. Und wie Vorgeschichte, Musik und Inhalt selbst – ein mythisches Liebespaar Alphise und Abaris, das mit Unerschütterlichkeit die gesellschaftlichen Konventionen durchbricht – war das zwar ein vor allem am Dirigenten ablesbarer Triomphe d'amour, allerdings mit gemischten Gesangsleistungen.
Dass Rameau eine eigen- und einzigartige Musikalität besitzt, die eine besondere Klangsprache erfordert, ist bekannt und gefürchtet. Nicht umsonst gibt es nicht allzu viele Experten für die kontrastreiche Exotik des Komponisten. Diese entfaltet sich von einer unverwechselbaren Galanz mit träumerischer Zerbrechlichkeit bis zu derber, gleichsam stimmungsvoller Unterhaltung, entweder in allegorischer Ummantelung oder naturalistischer Direktheit. Das ist bei Les Boréades selbstredend auch so, in der sich die Königin von Baktrien den Wirbeleien und standesgebührenden Begehrlichkeiten der Söhne des Gottes der Nordwinde zu widersetzen hat, um Abaris – wie sich heraussetellt, Apollos Sohn himself – zu ehelichen. Das Orchester beschreibt die Kulissen der göttlichen Welten und Gemütszustände neben den klassischen und hier mit allem so ineinander verbundenen récitatives und airs in zahlreichen Ballettdivertissements (allerhand Tänze und Entrées), die Collegium 1704 beginnend mit der in eine Jagd-Szenerie einhergehenden Ouvertüre versiert einfangen konnte.
Akzentuiert einwerfende Hörner, betonte und frohlockende Oboen, natürlich die typisch prominenten Fagotte, die vor den Celli platziert worden waren, sowie die Traversflöten und Barockklarinetten, Streicher, Cembalo und Schlagwerk tänzelten darin freudig, straff, lieblich und robust, wobei Luks jede Stimmung und Färbung um die windigen Wallungen elanvoll vorhüpfte und -gestikulierte. Dennoch hätte so manches mehr ausgereizt werden können, was schließlich immer besser gelang, wenn das klangschöne und wirkmächtige Collegium vocale 1704 in seinen Auftritten des kommentierenden Chores in Erscheinung trat. So blühte das Orchester in seiner Spielstärke in der kompakten, präsenten, runden und kernigen Abfärbung (besonders brillant die Soprane) triumphal auf. Am prägnantesten fielen dabei logischerweise der dunkle Sturm und die Unwetter mit Windmaschine, -Pfeife und -Blech, großer Trommel, Tornadostreichern und haltlosen Flöten, zum Finale der publikumsaffine, knackige Contredanse heraus. Überaus ungewohnt flüssig wählte Luks das versunkene „Entrée de Polymnie“, das im Gegensatz zu dem äußerst schnellen, verzückenden Geranke und Geflieder der Zephiren des vierten Akts derart jedoch nicht mit dem besungenen Extrem an Dramatik mithielt.