In Dunkelheit gehüllt war das Publikum, als plötzlich rötliches Licht das oktogonale Studio des Fotografen in eine Dunkelkammer verwandelte und Philipp Vandré am Klavier dezent und differenziert mit den melancholischen, aber dennoch beschwingten Figurationen des Liedes Die Taubenpost begann.
Dieses Lied nimmt in Schuberts Schwanengesang eine Sonderstellung ein, da sie erst nachträglich zum Liederzyklus hinzugefügt wurde und inhaltlich in keinem direkten Zusammenhang mit ihm steht. Sie bildete in dieser Inszenierung Anfang und Abschluss, wurde zum Sinnbild jenes unendlichen Kreisens um die Suche nach der Realität, die niemals fassbar wird. Diese Neuordnung erlaubte Regisseur Dorian Dreher, die Lieder des Zyklus', der, frei von durchgängiger Handlung, eine Reihung von Psychogrammen darstellt, mit der Handlung des Filmes Blow Up zu verquicken. Was aber haben Franz Schuberts Liederzyklus Schwanengesang und Michelangelo Antonionis Film gemeinsam? Was verbindet das lyrische Ich der Schubert'schen Lieder mit dem Fotografen, dem Protagonisten des Films?
Es ist vor allem jenes romantische Motiv des Zweifels an der eigenen sinnlichen Wahrnehmung: Schuberts lyrisches Ich singt von vergangener Liebe, von Sehnsucht, von Einsamkeit und, etwa im Doppelgänger, von den Grenzen der Perzeption. Antonionis Hauptfigur, der Fotograf Thomas, begibt sich in Blow Up nach der Zufallsentdeckung einer Mordszenerie auf einem seiner Fotos auf die Suche nach der Realität, die sich ihm stets unerreichbar entwindet.
Die Sehnsucht, von der Thomas Berau in diesem ersten Lied mit warmer Stimme und meisterhaft artikuliert sang, wurde durch die Präsenz eines Mädchen, Fotomodell und Muse zugleich, szenisch unterstrichen. Kaum war die Szene beendet, ertönte eine Lautsprecherstimme: „Sometimes reality is he strangest fantasy of all.“ Dieses dem Film entnommene Motto führte nun in die Suche des lyrischen Ichs ein. Ruhig und unprätentiös, mit wenig Vibrato und unvergleichlich ausdrucksvoll bot Berau diese pastorale Szenerie dar, in der die Liebesbotschaft an die ferne Geliebte gesandt wird. Mit Kriegers Klage jedoch veränderte sich die Stimmung grundlegend; die düster repetierten, punktierten Figurationen des Klaviers nahmen die von Pausen durchzogenen, dramatisch vorgetragenen Phrasen des Sängers voraus, und auch die darauf folgenden, frühlingshafteren Lieder und Fotosessions konnten nicht über das beginnende Unheil hinwegtäuschen.
Mit seinen hochdramatischen Tremoli im Klavier und der Unruhe in der Stimmlinie, die Berau gesanglich und schauspielerisch hervorragend darstellte, wurde Aufenthalt, jenes Gedicht, das den Schmerz an den Naturgewalten verbildlicht, zum Sinnbild des Kontrollverlusts. Außer sich bewarf der Fotograf seine Muse mit Kleidung, um sie, die nunmehr floh, zu den immer dramatischer werdenden Klängen des Liedes Abschiedgewaltsam fest zu halten, möglichweise sogar zu vergewaltigen – ein Eindruck, der in seiner Gewaltsamkeit durch die Einblendung des Rocksongs Hey Joe von Jimi Hendrix noch explizierter wurde. Alleine blieb der Fotograf zurück, der die Realität hinter seinen verschwommenen Wahrnehmungen zu finden hoffte.