Mit dem Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln von Franz Schmidt (1874-1939) verabschiedete sich Simone Young im letzten Abonnementkonzert der laufenden Saison am 15.6. in der Hamburger Laeiszhalle nach knapp 10 Jahren als Generalmusikdirektorin der schönen Hansestadt. Am Sonntag wird Simone Young noch mit Verdis Simon Boccanegra ihre letzte Vorstellung als Intendantin der Staatsoper dirigieren; damit geht eine abwechslungsreiche musikalische Ära zu Ende, in der Young das Repertoire der Philharmoniker und der Oper in vielerlei Hinsicht und durch viele Epochen bereichert hat, vom Barock bis zu zeitgenössischen Kompositionen.
Franz Schmidt wirkte als hochbegabter Musiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf einem verblüffend fruchtbaren musikalischen Nährboden. Als Kind wohnte er einem Konzert von Franz Liszt in Pressburg bei, studierte bei Anton Bruckner, stand mit Johannes Brahms in Kontakt, spielte als Cellist unter dem Dirigat von Gustav Mahler und rieb sich künstlerisch an seinen Zeitgenossen Arnold Schönberg und Alban Berg. Das Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln gilt als Schmidts Hauptwerk und wird insbesondere in seinem Heimatland Österreich häufig aufgeführt. So stellt es der Dirigent Nikolaus Harnoncourt gar in die Tradition „großer oratorischer Blöcke, die mit der Marienvesper Monteverdis anfangen und über die c-Moll-Messe von Mozart, die Harmoniemesse von Haydn, die Missa solemnis von Beethoven und das Deutsche Requiem von Brahms reichen. Alle diese Stücke sprengen den liturgischen Rahmen und schaffen einen ganz neuen Zugang zur Musik.“
Das gewaltige chef d‘oeuvre Franz Schmidts sprengt aber nicht nur den Rahmen der traditionellen kirchlichen Riten, sondern lässt sich auch musikgeschichtlich nur schwer in bestimmte Kategorien verorten. Hochromantische a capella-Chöre in der Tradition Anton Bruckners wechseln sich ab mit geheimnisvoll chromatisch-modernen Klangaquarellen, die wiederum in ätherische Orgelmeditationen münden (geschlagen von Volker Krafft). Die gehaltvolle und musikalisch äußerst dichte Komposition ist geprägt von der klangmalerischen Vertonung des letzten Buches des Neuen Testaments, den apokalyptischen Visionen des Sehers Johannes. Es lebt vom krassen Ausdruck der biblischen Sprache und den expressionistischen musikalischen Bildern.