Es war ein turbulenter Donnerstag in Berlin: Aber das Publikum der Staatskapelle ließ sich jedoch vom Sturmtief „Xavier“ nicht beirren – trotz nahezu kompletter Einstellung des Nah- und Fernverkehrs am frühen Abend war der große Saal der Berliner Philharmonie gut besucht. Auch die Orchestermusiker und Dirigent Daniel Barenboim hatten es pünktlich zum Konzert geschafft; das Programm mit Werken von Widmann, Schumann und Debussy konnte mit nur 10-minütiger Verspätung beginnen.
Als stürmisch ließe sich auch das erste Stück des Abends bezeichnen, zumindest in solchen Momenten, in denen sich das Zweite Labyrinth von Jörg Widmann mit all seinem Knarren, Poltern und Scheppern zu einem perkussiven Orkan entfesselt. Widmann hat das Werk eigentlich als Raumkomposition konzipiert; an diesem Abend befanden sich die Musiker der Staatskapelle jedoch alle auf der Bühne. Leider, denn gerade in solch einem Konzertsaal wie der Philharmonie hätte das Werk durch eine Verteilung der Musiker im Raum seine einzigartige Klangwirkung noch besser entfalten können.
Den Raum in die klangliche Struktur des Zweiten Labyrinths miteinzubeziehen erscheint auch deshalb sinnvoll, weil es wahrlich kein anspruchsloses Werk für das Publikum ist: Kaum meint man, eines der eingangs vorgestellten Motive, wie z.B. den tiefen Holzbläser-Tritonus, wiederzuerkennen, werden neue Elemente eingeführt und in sich geschachtelt. So lässt Widmann den Zuhörer letztlich in musikalischer Verwirrung und Orientierungslosigkeit zurück – wie in einem klassischen Labyrinth also. Ein klangliches Erlebnis war das Zweite Labyrinth dennoch, vor allem deshalb, weil das Orchester die Vielfalt des Stückes kontrastreich und mit hoher Präzision auslotete. Verspielt tänzelnde Piccoloflöten, kratzende Saiteninstrumente, leise Atemgeräusche aus den Tiefen des Orchesters: Die Staatskapelle führte die Zuhörer mit viel Spielfreude in Widmanns musikalischen Irrgarten.
Ein Sturm der Emotionen war das dann folgende Klavierkonzert in a-Moll von Robert Schumann. Mit einem großen Orchesterschlag beginnt dieses einzige vollendete Klavierkonzert des Komponisten, bevor nach einer kurzen Klaviersequenz das Hauptthema des Werkes vorgestellt wird. In wunderbar lieblicher Vollendung trug der Solo-Oboist der Staatskapelle das wohl romantischste Motiv des Abends vor: Die Tonfolge C–H–A–A kann als Kryptogramm für „Chiara“, die italienische Version des Vornamens von Schumanns Ehefrau Clara, gedeutet werden. Das Motiv ist jedoch nicht nur eine Liebeserklärung des Komponisten an seine Gattin. Durch sein stetiges Wiederkehren im Laufe des Werkes dient es Schumann auch dazu, eben jenen „roten Faden“ hörbar werden zu lassen, den man man als Zuhörer bei Widmann zuvor vergeblich gesucht hatte.