Am Ende steht ein Bild des Jammers. Franz Schubert hat sich nahezu alle Kleider vom Leib gerissen, seine Perücke ist ihm vom Kopf gerutscht und Komponistin Johanna Doderer lässt ihn immer wieder verzweifelt die Frage: „Geliebte, wo bist du?“ in den Raum schreien; die von ihm verehrte Josepha hat sich soeben mit einem anderen aus seinem Freundeskreis verlobt. Peter Turrini, von dem das Libretto zu Doderers neuer Oper Schuberts Reise nach Atzenbrugg stammt, hat mit dieser letzten Szene auf den Nenner gebracht, worum es ihm in seinem Stück ging: um Verzweiflung, Isolation, die Unfähigkeit des Künstlers, ein normales bürgerliches Leben zu führen.
Alles Vorangehende dient dazu, dieses Bild des Elends umso krasser wirken zu lassen: die ausgelassene Fahrt auf einem offenen Wagen in ein Ausflugslokal in Atzenbrugg – derlei Ausflüge hat Franz Schubert mit seinen Freunden häufig gemacht –, das Picknick im Wald, die Ländler. Regisseur Josef E. Köpplinger hat das völlig zu Recht am Gärtnerplatztheater inszeniert, als habe er die berühmte Zeichnung von diesem Freundeskreis von Moritz von Schwind in Farbe auf die Bühne gebracht, eine harmlose biedermeierliche Gesellschaft, die freilich mit der politischen Realität in Gestalt von Krüppeln aus den napoleonischen Kriegen konfrontiert ist, auch wenn das nur Episode bleibt.
In diesem harmlosen Ambiente aber steht der Mann, der sich seiner nur sicher ist, wenn er komponiert. Dabei macht Johanna Doderer gleich zu Beginn deutlich, dass diesem Schubert eben nicht, wie das landläufige Urteil lautet, alles zugeflogen ist, sondern dass er mit seinen Noten gekämpft hat. Zu Beginn sitzt er allein am Boden und müht sich mit seiner Wandererfantasie ab, unterbricht immer wieder, mündet in Dissonanzen, und allmählich gleitet die Musik Schuberts über in die in diesem Fall zerfaserten, unheilschwanger anmutenden Klänge von Doderers Komposition. Dieser Anfang macht ihr Prinzip deutlich: Sie mischt originale Schubertpassagen mit ihrer eigenen Musik, und die ist sehr farbenreich und atmosphärisch dicht. Das gilt vor allem für die beiden grandiosen Traumvisionen der Titelfigur. In der einen stellt er sich vor, wie er heldenhaft die geliebte Josepha vor Wegelagerern rettet, in der zweiten, noch eindrucksvolleren stellt er sich seinem tyrannischen Vater entgegen, der in diesem Fall miserabel Geige spielt und dann von seinem Sohn attackiert und musikalisch übertroffen wird.
Köpplinger arbeitet hier mit Videoüberblendungen und in der ersten Vision mit einer herrlich überzeichneten aus dem Bühnenhimmel herabschwebenden Heldenfigur mit rot aufblinkendem Lebkuchenherz vor der Brust, denn auch wenn Schubert ein Meister der Musik war, so war er doch ein Versager im Alltag, vor allem in der Liebe. Auf der Reise nach Atzenbrugg, aus der die Haupthandlung der Oper besteht, versucht zwar sein Freund Kupelwieser (wunderbar eindringlich Mathias Hausmann) ihm zu zeigen, wie er sich der geliebten Josepha nähern soll, doch mehr als ein Stottern bringt er nicht heraus. „Ver-stum-men-tu-ich-auch“ lässt Doderer ihn abgehackt singen. Daniel Prohaska charakterisiert diesen in sich verschlossenen, zerquälten Charakter großartig, mit manchmal bewusst rauem Tenor, was die Verzweiflung besonders herausstellt, die auch die Komponistin ins Zentrum stellt.