Sir Roger Norrington kann es nicht lassen, das Publikum auch als Ehrendirigent des Zürcher Kammerorchesters zu beglücken – und er tat dies mit großem Erfolg in der ausverkauften Tonhalle. Die Musiker gruppierten sich im Dreiviertel-Kreis um den zur Orgel hin ausgerichteten Flügel ohne Abdeckung, der Pianist saß also mit dem Rücken zum Publikum. Die Aufstellung ist kein Unikat; andere Pianisten nutzen das gleiche Konzept, wobei im vorliegenden Fall Oliver Schnyder sich auf das Klavier konzentrieren konnte und der ihm gegenüber sitzende Roger Norrington die Koordination mit dem Orchester übernahm. Abgesehen vom Dirigenten und den Instrumenten ein historisches Setup – ob sich das in einem Saal wie der Tonhalle bewährt?
Rein klanglich dominierte eindeutig das Orchester mit seiner expansiven „al fresco“-Dynamik, die dem Publikum beide Werke des Abends wie neu erscheinen ließ; man konnte geradezu den Sensationswert der Kompositionen für das damalige Publikum wiedererleben. Norringtons Sicht auf Beethoven, namentlich dessen Symphonie Nr. 3 „Eroica“, ist natürlich bekannt, zumal von seinen Aufnahmen mit den London Classical Players und dem RSO Stuttgart. Nun schien er von der Besetzung her wieder zur Größe des ersten Orchesters zurückzukehren, ging allerdings in Radikalität der Dynamik und Artikulation über seine spätere Aufnahme hinaus: er kann es sich leisten, jeglichen Konventionen abzusagen.
Alles war so lebendig, die einzelnen Bläsergruppen, die Norrington phrasenweise aufleuchten ließ, die aufrüttelnden Pauken-Akzente, die leichte Artikulation und das sehr gute Zusammenspiel, die konzentrierte Mitarbeit aller Orchestermusiker, die klar hervortretenden Liegenoten in den Streichern: es entsprach meiner Erwartung, und dennoch erlebte ich die Musik wie neu, entdeckte zahllose, bisher nicht beachtete Einzelheiten. Das Spiel ohne Vibrato ist mittlerweile anerkannter Teil historisch orientierter Musizierpraxis, dennoch ließen liegende Töne, die sich sirrend, fast aufdringlich (aber keineswegs störend) ans Ohr schoben, aufhorchen. Sogar in den langsamen Sätzen, wo manches historisierende Ensemble das Vibrato selektiv als Verzierung oder zum Hervorheben einzelner Noten verwendet, war Norrington konsequent—und das Resultat überzeugte!
Bei den Tempi richtete sich der Dirigent gewohnt konsequent nach Beethovens raschen Metronom-Angaben, übertraf diese gar, oftmals bis hart an die Grenzen des für das Orchester noch Machbaren. Das übertrug er auch auf Beethovens Klavierkonzert Nr. 5, dessen langsamer Satz nicht wie gewohnt salbungsvoll zelebriert wurde, sondern im ungewohnt flüssigen Zeitmaß ganz neue Perspektiven auf diese Musik ermöglichte, mit Fokus weniger auf der kleinräumigen, über weite Strecken uniformen Motivik, sondern auf dem harmonischen Verlauf, den großen Phrasen.