Wenn man im sachsen-anhaltinischen Städtchen Weißenfels im Hotel Jägerhof eincheckt, wandelt man nicht allein auf den Spuren des „größten deutschen Barockmusikvaters“, Heinrich Schütz, der im fast nebenan gelegenen Haus in der Nikolaistraße seinen Lebensabend mit noch einigen bedeutenden Spätwerken verbrachte, sondern erneut auf denen Johann Sebastian Bachs. Schließlich fertigte Bach für jenes Gebäude seine Jagdkantate, seine älteste erhaltene weltliche Kantate und erste für großes Orchester, die vermutlich mit der Urversion des Ersten Brandenburgischen Konzerts begann beziehungsweise mit später ebenfalls wiederverwendeten Sätzen aufwartet, heuer aber trotz einfließender Verlinkung zur Gelegenheitsnennung nicht weiterer Gegenstand der Vorstellung ist.
Mir allerdings mit straßennamenstechnischem Zufall (Namensgeber ist hier freilich Nikolaus von Myra) für die folgende Beschreibung und obendrein als anekdotisch persönlicher Aufhängerrahmen dazu dient, mich in der Vergewisserung dieses geschichtlichen Umstandes die durchaus spirituell anmutende Frage zu stellen, ob nicht etwas in meinem Taufwasser war, dass ich bei Bachtrack(!) über Bach und viele meiner musikalischen Vorlieben schreibe. Nebenbei war mein ausgerechneter Geburtstermin Bachs Datum der Welterblickung, der 21. März, in heutigen Zeiten Europäischer Tag der Alten Musik.
Denn meine tatsächliche Wahl für November, die ich Ihnen nun kurz in Worte fassen darf, fiel auf die Kantate Ich geh und suche mit Verlangen, BWV49, in der Bach für den 3. November 1726 Philipp Nicolais siebte Strophe des Chorals Wie schön leuchtet der Morgenstern unterbringt. Jenes Pfarrers, der in meiner Taufkirche wirkte, dessen Namen wiederum meine Grundschule trägt, für die mein Zwillingsbruder, Klassenkameraden und ich ein Theaterstück über ihn aufführten. Und der in meiner Heimatstadt 1599 den Band Freudenspiegel des ewigen Lebens verfasste, in dem jener Choral, dessen eigenständige Bachkantate ich Ihnen für März versprach und verspreche, sowie der bereits präsentierte zu BWV140 enthalten sind.
Wie bei BWV140 als eine Komponente erwähnt, dem (Hochzeits-)Dialog, basiert die Kantate BWV49 völlig auf dem Muster des kirchlich von erotischem zu theologischem umgedeuteten Vereinigungsliedes zweier Liebenden, Jesus Christus und der Gläubigen Seele, so auch von Bach tituliert. Sie beginnt – ganz salomo(n)isch eindeutig zweideutig belassen – mit einem Vorspiel, für das ebenfalls ein Blick zurück angesagt ist. So ist die Sinfonia ein Satz eines ausgewachsenen Orgelkonzerts, das auf die verschollene Frühfassung des später für das Leipziger Kaffeehaus Zimmermann revidierte Cembalokonzerts BWV1053 zu Weimarer/Köthener Zeiten zurückzuführen ist. Neben der kleinen Besetzung aus Streichern (auch mehrdeutig, denn original vorgesehen ist dabei das nur selten vorgeschriebene Violoncello piccolo) bereichert intim und ebenfalls sinnbildlich unerlässlich die Oboe d'amore das instrumental-rituelle Spielzeug, die ihren großen solistisch verwobenen und reizenden Auftritt in der selbstgenüsslichen und -wertlichen Sopranarie „Ich bin herrlich, ich bin schön“ hat. Ihr voraus – erstes Wort hat Jesus – geht die Empfindung Christi in titelsituierender Arie ohne Blasinstrument (denken Sie sich hier ruhig Ihre anzüglichen Wortspiele, die – wer bin ich, das prüde und entgegen barocker Deftigkeiten als platt zu verurteilen! – zugegeben nur so auf der sprichwörtlichen Humorstraße liegen).
Zueinander gefunden haben sie dann final – nach zuvor erstem rezitativischem Hochzeitsbrunch und himmels(bett)gläubigem Ja-Wort – im Duett „Dich hab ich je und je geliebet“, das als Bassarie mit einleitend angesprochenem Choral durch den Cantus firmus des Soprans und aufgreifend besonders orgelverzierter Festblümchenstreuung gehalten ist. Eine ziemlich runde und angenehm zweisame – mit Gott dreisame – Sache. Aber genug der doppelsinnigen Worte. Mich beschleicht nämlich doch stärker der immer klarere Verdacht, dass sich wirklich irgendetwas im Taufwasser befand, das mein Pfarrer, als Bekannter der Familie um die Ecke angereist, auf mein Haupt tröpfelte. Zu sehr halten sich auch im Gedächtnis so durch ihn prägende Formulierungen wie „Ja, ist es denn die Possibility?!“ oder „Ich glaube, Du hast einen kleinen Hermann im Schlappen.“ als Ausdrücke der Verwunderung. Wundert Sie noch etwas? Ich geh und suche die nächste Bachkantate.