Der Oktober steht bei Bachtrack ganz im Zeichen des Barock. In den letzten Jahren haben wir den unaufhaltsamen Aufstieg von Countertenören beobachtet – sie sind überall! Jetzt ist es an der Zeit, von den führenden Countertenören unserer Zeit etwas mehr über ihr Fach herauszufinden.

Christopher Ainslie begann seine Gesangskarriere als Chorsänger in seiner Heimat Kapstadt. 2005 zog er für sein Studium am Royal College of Music nach London, das er mit Auszeichnung abschloss. Aktuelle und zukünftige Auftritte beinhalten Rollen in Orfeo ed Euridice für die Opéra de Lyon und die Opéra National de Lorraine, Agrippina für die Händel-Festspiele Göttingen, Saul für Glyndebourne, Bachs h-Moll-Messe mit dem Baltimore Symphony Orchestra, Händels Messias mit dem Ulster Orchestra und dem Chor des Clare College, Cambridge, außerdem Orffs Carmina Burana mit dem Chor und Orchesters von Radio France.

Wie erklären Sie sich die explosionsartig gestiegene Beliebtheit von Countertenören?

Das Barock-Revival der letzten Jahrzehnte hat in der Musikindustrie einigen Bedarf an Countertenören geschaffen. Als Sänger vortraten, um diesen Bedarf zu stillen, begann das Stimmfach eine eigene Entwicklungsreise als Sänger begannen, das technische und musikalische Potential der Stimme zu erforschen. In diesem Zuge hat die Öffentlichkeit enorme Schönheit und dramatische Ausdruckskraft gesehen, und mehr Sänger sahen im Fach des Countertenors eine Karrieremöglichkeit. Es ist etwas Magisches daran, wenn ein Mann in dieser Lage singt, aber ich glaube, die Beliebtheit des Fachs hat mehr mit dem Timbre zu tun und der Klangwelt, die es eröffnet. Die Stimme kann ätherisch und auch (im positiven Sinne) unvorhersehbar sein, und nun, da die Sänger begonnen haben, konventionelle Belcanto-Techniken auf dieses Fach anzuwenden, wird das Potential der Stimme zusehends entdeckt. Wie wunderbar, dass auch zeitgenössische Komponisten bei diesem Potential aufhorchen, und es werden immer mehr Rollen für Countertenöre komponiert.

Welche Opernrolle mögen Sie am liebsten, und warum?

Glucks Orfeo ist kaum zu schlagen, obwohl zahlreiche Händel-Rollen dicht dran sind, einschließlich der Titelrolle in Amadigi, Arsace in Partenope und Ottone in Agrippina. Jede Rolle besitzt ihren einzigartigen musikalischen und dramatischen Zauber, aber was sie ganz oben auf meine Liste bringt ist die Art und Weise, wie sie in tiefe Melancholie, sogar Verzweiflung eintauchen – und die Stimme eines Altus ist so perfekt geeignet, die auszudrücken. Ich liebe diese Rollen auch wegen ihrer Bandbreite an Emotionen und ihrer Lage: volle, interessante Alt-Linien mit einigen wunderschönen höheren Passagen, in die hinein man sich entspannen kann.

Wann haben Sie Ihre Countertenor-Stimme entdeckt?

Ich habe in einem Knabenchor in Kapstadt Sopran gesungen, und nach dem Stimmbruch habe ich eine Zeit lang Altus oder Tenor gesungen, je nach dem, was grade gebraucht wurde. Aber die Altlage war für mich immer die Besondere, und ich fing an, meine Countertenor-Stimme zu trainieren, einfach nur, um mit den Ansprüchen des Chores mitzuhalten. Als mein Lehrer empfahl, dass ich mit vielleicht etwas ernsthaftere Gedanken über eine Gesangskarriere machen sollte, habe ich nicht zu viel davon gehalten, denn ich war gerade dabei, meinen Abschluss zum Steuerberater zu machen und ich war stur ein Bratschist, kein Sänger! Spulen Sie fünf Jahre vor und ich studiere am Royal College of Music bei Mark Tucker, und ich habe es nie bereit. Ich habe das Gefühl, ich bin noch immer im Begriff, meine Countertenor-Stimme zu entdecken, denn ich erkunde noch immer aktiv, was dieser Stimmtypus zu bieten hat. Es gibt so viele verschiedene Herangehensweisen an diese Stimme, und Sub-Fächer werden beständig klarer definiert. Doch die Entdeckungsreise ist noch lange nicht vorbei, und es ist faszinierend und aufregend für mich, ein Teil davon zu sein!

Wie gehen Sie an da capo-Verzierungen heran? Gibt es ein Gleichgewicht zwischen künstlerischem Feuerwerk und gutem Geschmack?

Wir leben nicht in Zeiten des Barock, und so sehr wir uns auch um historische Korrektheit bemühen ist unsere Aufgabe eigentlich, diese Musik unserem modernen Publikum anzubieten. Für mich gilt es in jeder Produktion oder jeder Aufnahme, eine Entscheidung zu treffen: reine historisch informierte Aufführungspraxis, oder geschmackvoll und schön für unsere modernen Ohren? Üblicherweise ist der dramatische Kontext unserer inszenierten Opern so weit von dem entfernt, was es zu Zeiten des Barock gewesen wäre, dass es einfach keinen Sinn ergäbe, wenn wir dem auch nur entfernt näher kommen würden, was wir glauben, vor ein paar hundert Jahren gebräuchlich gewesen zu sein. Ich hätte nichts gegen eine historisch informierte Produktion oder eine Aufnahme, die es sich zum Ziel setzt, jeden Aspekt der Interpretation so genau wie möglich nach dem Barock zu machen, einschließlich künstlerischen Feuerwerks. Mein persönlicher Gesangsstil aber zielt mehr auf das Ausdrücken von Text und Emotion in einem Stück ab, also versuche ich sie auf eine Art zu verzieren, die das, was ich zu sagen versuche, unterstreicht.

Was ist das Verrückteste, Merkwürdigste, das Sie je auf einer Opernbühne tun sollten?

Caligula der English National Opera muss wohl die merkwürdigste Produktion sein, an der ich mitgewirkt habe (und eine der aufregendsten). Ich habe eine nackte Schauspielerin (Caligulas tote Schwester) binnen Sekunden nach dem ersten Auftritt über die Bühne getragen, habe einen verrückten, sadistischen Chorleiter für den bizarren und verwirrten Chor gespielt, bekleidet nur mit einer kleinen grünen Toga und einem Kranz Rosen. Es war so ziemlich alles dabei. Es war nur schade, dass ich als Caligulas Diener nicht an der Essensschlacht teilnehmen durfte. Ich musste neben dran stehen und wie der besessene Spinner grinsen, den ich spielte.

Oder auch, als ich als Eliogabalo eine Arie mit dem Gotham Chamber Orchestra in New York City sang, während ich von vier Tänzern (mit freiem Oberkörper) auf dem Rücken durch die Luft getragen wurde und ich pinke Fishnets, eine Schamkapsel und ein Kettenhemd trug, kommt dem nahe...

Hier finden Sie Christopher Aisnlies Künstlerseite auf Bachtrack.


Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.