Als international gefragter Cellist spielt Mario Brunello regelmäßig in den großen Konzertsälen dieser Welt. Aber eine seiner schönsten Erinnerungen fand in einer ungewöhnlichen Umgebung statt: in den Bergen in der Morgendämmerung. Brunello hatte die Brentadolomiten mit dem Schriftsteller Erri De Luca und seinem geliebten 1600 Maggini-Cello bestiegen. Musikverehrer hatten sich für eine Lesung und die Aufführung von Bachs Cellosuite Nr. 2 versammelt.
„Es war unvergesslich”, erzählt mir Brunello, „und es ergab sich rein zufällig. Die Sonne ging langsam auf als ich spielte. Und als ich bei der letzten Note landete, war die die gesamte Gebirgswand erleuchtet. Selbst im Theater könnte man dies nicht so genau planen.” Brunello spielte das bewährte Morgendämmerungskonzert beim Sounds of the Dolomites, das jährliche Sommerfestival mit Freiluftkonzerten, viele davon sind frei zugänglich, an Plätzen des namensgebenden Gebirges, das sich an die italienischen Alpen schmiegt. Aber das Sounds of the Dolomites hat mehr als nur Musik zu bieten. Das Publikum muss zu den Konzertplätzen wandern, um dorthin zu gelangen, was die übliche Grenze zwischen dem Musiker und dem Zuhörer überwindet. Sie werden ermutigt, gemeinsam alles zu genießen, was die Region Trentino zu bieten hat, von feinem Käse und Wein – reichlich in den rifugi entlang des Weges erhältlich – bis zu den beeindruckenden Ausblicken der imposanten Gegend.
Es ist eine Gegend, die Brunello im Blut hat. Aufgewachsen in der venezianischen Stadt Castelfranco, bewunderte er die entfernte Majestät der Dolomiten von seinem Schlafzimmerfenster. Seine Ferien verbrachte er damit, mit Skiern am Rücken auf diese Berge zu wandern. Nicht lange und er tauschte die Skier gegen ein Cello, als Brunello zum eigenen Vergnügen begann, sein Instrument auf größeren Höhen zu spielen. Er ahnte nicht, dass er damit den Grundstein für etwas legte, das heute Trentinos wichtigstes Festival ist. Was inspirierte ihn zu diesen ersten privaten Vorstellungen? „Es war alles ganz selbstverständlich”, erklärt Brunello, „ich liebe Musik und die Berge. Es war unausweichlich, dass ich diese zwei Dinge eines Tages kombinieren würde.”
Die Mischung erwies sich als beliebt – zu beliebt vielleicht. „Mittlerweile haben wir fast zu viele Zuhörer bei den Konzerten”, lacht Brunello. „Wir haben uns dazu entschlossen ein etwas unbekannteres Repertoire zu spielen, um das Publikum herauszufordern. Sehen Sie es als eine Art natürliche Selektion. Bei ungewöhnlicheren Programmen erkennt man die Qualität des Publikums sofort.”
Auch die Musiker brauchen eine gewisse Ausdauer. Mit den Instrumenten am Rücken zu wandern und in der freien Natur zu spielen, bringt Herausforderungen mit sich. Aber denjenigen, die sie überwinden können, öffnet sich der Berg und sie finden „neue Möglichkeiten der Kommunikation”, laut Brunello. „Toscanini hat gesagt, dass sich Konzerte im Freien nur dazu eignen, Schüsseln zu spielen. Aber ich glaube, es bietet eine weitere Möglichkeit. Es ist einfach, in einem Saal wie dem Musikverein zu spielen. Aber wenn man in einem riesigen offenen Raum spielt, braucht man eine größere Intensität.”
„Es gibt nichts zwischen dir und der Stille, und dadurch habe ich viel gelernt”, erklärt Brunello weiters, der neben den Dolomiten auch schon in der Sahara gespielt hat. Teil seiner künstlerischen Mission ist es, Musiker von der Kraft von Freiluftkonzerten zu überzeugen, eine Tätigkeit, die, wie er glaubt, ihnen hilft, eine authentischere Stimme zu finden. „Wenn es keine Akustik gibt, an die man seinen Klang anpassen muss, muss man daran arbeiten, sein Instrument singen zu lassen.”
Brunello hat ein breites Interesse an Musik (er hat sowohl mit Songwritern als auch Jazzmusikern zusammengearbeitet), was das Festival widerspiegelt. „Wir haben Jazz, Ethnomusik und Volksmusik, und versuchen eine Balance zu schaffen”, erklärt Brunello. „Aber es ist alles auf höchster Qualität; Musik wird hier großgeschrieben.” Das diesjährige Programm sieht besonders vielseitig aus. Der italienische Jazztrompeter Paolo Fresu schließt sich mit der traditionellen ladinischen Musikgruppe Mùsega de Poza zusammen. Der britische Sänger und Songwriter Graham Nash spielt einige seiner Klassiker und das ukrainische Volksquartett DakhaBrakha wird sein einzigartiges „Ethno-Chaos” auf die idyllischen Weiden des Val die Fassa loslassen.
Es ist jedoch oft schwer, gerade klassische Musiker von dem Konzept zu überzeugen. „Wenn ich neuen Gästen das erste mal vom Festival erzähle, sind sie manchmal etwas skeptisch. Mit ihrer Stradivarius auf einen Berg zu gehen, um dort mit wenig Akustik unter freiem Himmel zu spielen, klingt nicht sofort verlockend. Ich versuche jedoch mein Bestes, sie davon zu überzeugen.”
Nach dem ersten Konzert sind die Musiker jedoch oft süchtig danach. Der Cellist Mischa Maisky ist nun ein regelmäßiger Gast, sowie die Geigerin Isabelle Faust, die dieses Jahr als Teil eines Quartetts auftreten wird. Aber nur wenige besuchen das Festival so häufig wie Gidon Kremer und die Kremerata Baltica, eines der weltbesten Kammerensembles. Die Gruppe führt die zweite Ausgabe der Campiglio Special Week – ein sechstägiges “Festival im Rahmen des Festivals” – an, das heuer Komponisten von Mendelssohn bis Morricone ins Rampenlicht stellt. Eine Neuheit ist die Weltpremiere eines Projekts, das die Musik von Mieczysław Weinberg und Bilder des litauischen Fotografen Antanas Sutkus verbindet, um die Idee einer sowjetischen Utopie zu erforschen. Eine weitere ist der allererste Workshop des Festivals („damit wird ein Traum wahr”, sagt Brunello), bei dem Amateurstreicher von Mitgliedern der Kremerata Baltica unterrichtet werden, bevor sie dazu eingeladen sind, mit der Gruppe in einem Konzert zu spielen.
Brunello selbst lässt kaum eine Gelegenheit aus, um mit der Kremerata Baltica zu spielen, und wird gemeinsam mit Mitgliedern ein vielseitiges Programm während der Campiglio Special Week aufführen, das Werke von Reinhold Glière, Rebecca Clarke und Giovanni Sollima vorsieht. Und zwar direkt nachdem er von einer dreitägigen Wanderung mit dem Bergsteiger Maurizio Zanolla zurückgekehrt ist, ein Pionier des Freikletterns, und einer kleinen Gruppe von Wanderern, die einen Platz über die Homepage des Festivals ergattern konnten. Überflüssig zu erwähnen, dass Brunello sein Cello am Rücken tragen und für reichlich musikalische Verpflegung entlang des Weges sorgen wird.
Die Wanderung ist eine der größten Herausforderungen des Festivals, aber eine, die Brunello genießt. Worauf freut er sich am meisten? Seine Antwort fasst zusammen, was das Sound of the Dolomites so einzigartig macht. „Wandern, teilen, Zeit mit anderen zu verbringen, und die Möglichkeit, ein gutes Glas Wein zu trinken.”
Dieser Artikel wurde von Trentino Sviluppo S.p.A. gesponsert.