Amos Elkana ist ein mehrfach ausgezeichneter Komponist. In ihrem Entschluss, ihm den Kompositionspreis des Premierministers zu verleihen, bemerkte die Jury, dass Elkana der Verfasser „ganz individueller Musik ist, unabhängig von vorherrschenden Trends, geleitet von einzigartigem und feinem Geschmack“ und „einen starken Eindruck von Aufrichtigkeit“ vermittelt.
Amos Elkana steht an einer Kreuzung vieler Genres und Stile. Seine Musik ist beeinflusst von Jazz, orientalischer Musik, Avantgarde und elektronischen Klängen, immer mit dem gleichen, zum Nachdenken anregenden Konzept. Wir haben ihn zu seiner Technik und den Herausforderungen befragt, denen sich Komponisten heutzutage stellen müssen.
Wie würden Sie die Situation zeitgenössischer Musik in Israel beschreiben?
Was die Künstler angeht, so gibt es drei ausgezeichnete Ensembles, die sich ganz der zeitgenössischen Musik verschrieben haben, und jedes von ihnen hat eine einzigartige Herangehensweise und einzigartiges Repertoire. Das sind das Meitar Ensemble, die Israel Contemporary Players und das Musica Nova Consort. Sie geben den vielen hervorragenden Komponisten, die hier leben und arbeiten, eine Stimme, doch auch wichtigen Komponisten aus aller Welt. Neben ihnen gibt es auch viele sehr gute freiberufliche Musiker. Wie an vielen anderen Orten aber tun die großen Orchester leider sehr wenig, was zeitgenössische (und insbesondere israelische Musik) betrifft, was in direkter Verbindung mit der finanziellen Unterstützung steht, die sie von der Regierung erhalten.
Wo liegen ihrer Meinung nach die Probleme, die Ihnen und den meisten Komponisten täglich begegnen?
Bezüglich einer Kariere gibt es für lebende Komponisten sehr wenig Gelegenheit, ihre Werke zu präsentieren. Das liegt an der konservativen Einstellung und Engstirnigkeit von Veranstaltern und Publikum, Mangel an Kontakt zwischen der Öffentlichkeit und zeitgenössischer Musik und fehlender finanzieller Unterstützung. Deswegen sind die meisten Orchester zu Museen alter Musik geworden. Viele Musiker sind zu zufrieden damit, die Klassiker zu spielen (die manchmal Herausforderung genug sind), und schrecken vor dem Neuen, Schwierigen zurück. Darum ist es schwer, Aufträge zu bekommen, und wenn man Glück hat und ein Stück aufgeführt wird, muss man unter anderem noch immer beten, dass man genügend Probenzeit bekommt...
Künstlerische Herausforderungen gibt es viele, doch einige betreffen einzig die Komponisten von heute. Im frühen 20. Jahrhundert passierte etwas Wunderbares: Schönberg und andere Komponisten lehnten die jahrhundertealte Tradition der Dur-Moll-Tonalität ab und erfanden neue Methoden der Tonhöhenorganisation. Dadurch haben sie allen anderen Komponisten die Freiheit gegeben, ihre eigene musikalische Sprache zu erfinden. Kein Verlassen auf tonale Skalen und uralte Formen mehr. Viele Komponisten haben diese Nachricht verstanden; das ganze 20. Jahrhundert hindurch und bis heute taucht neue, sehr spannende Musik auf. Als die Welt zunehmend mehr vernetzt wurde, fand Musik aus anderen Kulturen ihren Weg in unsere westlichen Ohren und unsere Kompositionen. Anders als in der Vergangenheit musste ein lebender Komponist bzw. Komponistin also seine oder ihre individuelle Klangsprache entwickeln oder andernfalls einer bestimmten Schule folgen (Serialismus, Minimalismus, Spektralmusik etc.). Seine eigene Sprache zu ersinnen ist Kreativität in ihrer reinsten Form und kann, wenn sie zusammenhängend, konsistent und breitgefächert ist, sehr interessant und schön sein.
Ziemlich viele ihrer Werke (zum Beispiel Reflections oder Whither do you go home) nutzen Electronics. Finden Sie Inspiration in elektronischen Mitteln?
Ich habe Computer schon immer gemocht und programmiere seit vielen Jahren, es war also nur natürlich für mich, sie auch zu benutzen, um Musik zu machen. Als E-Gitarrist kommt die Elektronik auch mit dem Beruf. Die meisten meiner Werke aber sind für rein akustische Instrumente verfasst, nicht elektronische Musik. Ich benutze den Computer oft, wenn ich improvisierte Musik vorstelle, um einzigartige und ungewöhnliche Klänge zu erzeugen. Vielleicht finden diese Töne manchmal ihren Weg in meine akustischen Arbeiten, obwohl ich nicht bewusst versuche, elektronische Klänge akustisch zu imitieren.
Jedes meiner elektroakustischen Werke nutzt den Computer auf andere Weise. In Reflections beispielsweise nimmt der Computer den Violinisten auf und spielt die Aufnahme später ab, um mehrere Klangschichten zu erzeugen. In Whither do you go home wird der Computer genutzt, um das Cello live zu manipulieren sowie zuvor aufgenommenes Material abzuspielen.
Finden Sie, dass der Computer dem Komponieren von Musik eine zusätzliche, andere Ebene gegeben hat?
Natürlich; mit dem Computer konnte man dann elektronische Klänge zu erzeugen und sie in bislang ungekannter Art und Weise manipulieren, und er bot die Möglichkeit, diese Klänge wissenschaftlich zu untersuchen und ihre innersten Eigenschaften verstehen zu lernen. Diese Fähigkeiten werden von Komponisten und Musikern auf vielfältige Weise genutzt.
Mit dem Computer kam auch die Möglichkeit, Musik mit Hilfe von Notationsprogrammen zu notieren und uns gleichzeitig auch eine Vorstellung davon zu geben, wie die Musik mit live-Musikern klingen soll. Dieser Aspekt ist sehr problematisch, denn er vermittelt den falschen Eindruck und zieht weder die vielen Feinheiten in Betracht, die Teil des Spiels eines akustischen Instrumentes sind, noch entsteht ein Verständnis dafür, wie Ensembles und Orchester wirklich klingen.
Glauben Sie, dass ein Komponist jetzt, mit dem Computer, auch ein Instrumentenbauer sein muss?
Nicht wirklich. Der Computer ist ein phantastisches Werkzeug, um elektronische Klänge zu erzeugen und sie zu bearbeiten, aber das ist nicht jedermanns Sache. Es gibt viel zu lernen, bis man heraus hat, was man alles damit machen kann, und viele meiner Kollegen scheinen zufrieden damit, nur für akustische Instrumente zu schreiben. Aber es ist definitiv interessant! Komponisten loten die Möglichkeiten der Elektronik nun seit vielen Jahren aus; das begann noch bevor es Computer gab. Einer von ihnen, der israelische Komponist Josef Tal, schrieb 1970 ein Konzert für Klavier und Elektronik, wobei der Elektronik-Part vom Magnetband abgespielt wird. 2013 habe ich diesen Part für ein Konzert in Tel Aviv mit dem Computer umgeschrieben. Diese neue Fassung nutzt Technologien, die zu Tals Lebzeiten nicht verfügbar waren; sie beinhalten Echtzeitverarbeitung (Real-time Processing) und zufällige Ereignisse, die vom live-Klavierspiel ausgelöst werden. Hier können Sie den phantastischen Pianisten Amit Dolberg mit meiner Fassung hören.
In The Journey Home hören wir einen Walking Bass, in How! ein Oud. Sind Jazz und orientalische Musik für Sie starke Einflüsse? Wenn nicht, wie stehen Sie dazu, Musik ex nihilo zu schreiben?
Ich komme zwar aus einer Familie, in der immer klassische Musik gespielt wurde, aber in Israel aufzuwachsen bedeutet, dass man auch in Kontakt mit arabischer Musik kommt. Die meisten meiner Freunde stammen aus jüdischen Familien, die aus arabischen Ländern nach Israel ausgewandert sind und ihre wunderbare Kultur mitgebracht haben. Als Teenager habe ich zuerst Rock und dann Jazz gehört und gespielt. Ich bin ziemlich sicher, dass meine Liebe zu dieser und anderer Arten von Musik sich ihren Weg in meine Kompositionen gebahnt hat. Allerdings zitiere ich nie bewusst. Für mich scheint es zu funktionieren, intuitiv zu komponieren. Die Musik selbst inspiriert mich und gibt mir Richtung.
In meiner kurzen Oper The Journey Home nutze ich untypischerweise palästinensische Musik und Klezmer in zwei Hochzeitsszenen, weil das Teil der erstaunlichen (aber wahren!) Geschichte des Großvaters eines meiner besten Freunde ist. In aller Kürze geht dreht die Oper sich um das Leben eines palästinensischen Moslems, der zum Judentum konvertiert ist. Er verliebt sich in eine Jüdin, heiratet sie und gründet mit ihr eine Familie; später konvertiert er zurück zum Islam, heiratet wieder und gründet eine neue Familie mit einer Palästinenserin.
Der Oud in How! Gehört zu einem Ensemble von Streichinstrumenten, das teil-improvisierte Musik spielt an Stellen, an denen die Partitur den Musikern sagt, wie sie spielen sollen, aber nicht was. Dafür habe ich eine graphische Partitur entworfen, die alle musikalischen Informationen (Dynamik, Phrasierung, Register etc.) zeigt, ohne tatsächliche Tonhöhen anzugeben.
Was halten Sie von Komponisten, die sich ganz einer sehr spezifischen Technik verschreiben?
Solange die Musik, die daraus erwächst, interessant ist, zum Nachdenken anregt, animiert, ist mir egal, aus welcher Technik heraus sie entstanden ist. Ich liebe gute Musik jeder Art und jeden Stils und es muss auch nicht klassisch oder experimentell sein. Ich kann einen Komponisten absolut verstehen, der sich eine bestimmte Technik meisterlich angeeignet hat und sie nutzt, um sich auszudrücken. Wenn dieser Stil tiefgründig genug und breit genug ist, um eine Menge verschiedenartiger Musik hervorzubringen, warum nicht?
Architektur, Instrumentierung, Ausdruck – gibt es unter diesen verschiedenen musikalischen Parametern einen, den Sie bevorzugen? Was steht im Kompositionsprozess an erster Stelle?
Die Struktur und Form einer Komposition sind für mich die Eckpfeiler. Wenn ich an einer neuen Komposition zu arbeiten beginne, definiere ich zuerst die Struktur. Noch bevor ich über Klänge, Rhythmus oder Orchestrierung nachdenke. Weil Musik eine zeitabhängige Kunst ist, beinhaltet die strukturelle Planung, einen bestimmten zeitlichen Rahmen in kürzere Segmente aufzuteilen und diese Segmente dann abermals in kürzere zu unterteilen und so weiter. Um mir interessante und einzigartige Formen einfallen zu lassen, habe ich ein System entwickelt, das auf fraktaler Geometrie beruht; es gestaltet die Form und definiert die Beziehungen von Mikro zu Makro darin. Das ist aber kein rein mechanischer Prozess. Üblicherweise weiß ich vorher, wie das Größe der Komposition, ihre Instrumentierung und ungefähre Dauer aussehen, also forme ich ihre Gestalt im Gedanken daran, was für dieses bestimmte Werk richtig ist und wie ich es sich entwickeln sehe. Einige Werke, die diese Fraktalmethode nutzen, sind unter anderem das Klavierkonzert …with purity and light…, die Homage an Ligeti, das Sextett Casino Umbro, das Quintett Tripp, Eight Flowers für Klavier und Shivers für Celesta.
Einige Werke, die auf andere Art und Weise komponiert wurden, sind das Klarinettenkonzert Tru’a, der Liederzyklus Arabic Lessons und Shir.
Eine ausführlichere Werkliste finden Sie auf meiner Webseite.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.

