„...noch hat mir keine Musik den Effect gemacht – das ist eine magnifique Musik.“ Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz und Bayern war hingerissen von der Oper, die er 1780 in Auftrag gegeben hatte, doch Idomeneo, rè di Creta hat unter Mozarts späten Opern nur wenig Beliebtheit errungen. Sie ist noch immer eine Art Aschenbrödel, doch Graham Vick wird sie bald zum dritten Mal inszenieren und ist so überzeugt wie Karl Theodor: „Es ist ein großartiges Drama, ein unglaublich reicher Mythos und eine phantastische Musik“, schwärmt er. Seine neue Inszenierung für die Oper Göteborg folgt Produktionen am Maggio Musicale in Florenz 2004 und mit seiner eigenen Opernkompanie in Birmingham 2008; er kennt das Werk also sehr genau.

Vick glaubt, dass Mozart mit Idomeneo Neuland betreten hat: „Er ist ein junger Mann, der seine Persönlichkeit und seine Stimme findet; er nimmt eine alte Form und sprengt sie, sodass eine neue Form entsteht, indem er ein Sujet verwendet, das sich um die alte Welt, die alte Philosophie und alte Generationen dreht, die dem Neuen Platz machen – die perfekte Kombination von musikalischer Form und Topos.“

Die Handlung spielt in der Zeit nach dem Trojanischen Krieg. Nach der Niederlage König Priamus' wurde seine Tochter Ilia gefangen genommen und nach Kreta verschleppt, wo sie sich heimlich in Idamante, Sohn des Königs Idomeneo, verliebt. Idamante befielt, die trojanischen Gefangenen freizulassen, sehr zur Besorgnis Elettras, Prinzessin von Argos, die eifersüchtig auf Ilia ist. Idomeneo selbst, so wird befürchtet, ist auf hoher See verschollen, doch der Gott Neptun verschonte sein Leben. An Land angespült erinnert sich Idomeneo an den Pakt, den er mit Neptun geschlossen hat – sollte sein Leben verschont werden, würde er das erste lebendige Wesen opfern, das ihm unter die Augen kam. Doch die erste Person, auf die sein Blick fällt, ist Idamante, sein Sohn. Arbace schlägt vor, seinen Sohn ins Exil zu schicken und einen anderen an seiner statt zu opfern, doch welche Konsequenzen hat es, seinen Pakt mit Neptun zu brechen?

Für Göteborg siedelt Vick Idomeneo „in der modernen Welt mit aktueller Kleidung“ an. Gibt es moderne Parallelen, die er für das Publikum herausstellen will? „Das ist das Einfachste“, antwortet er. „Im Zentrum steht die Kultur der Alten Griechen, die alte Garde – das Alte Testament, so könnte man es betrachten - die einen Evolutions- und Bewusstseinsschritt tut in Richtung der neuen Welt. Vom 5. Jahrhundert vor Christus an haben wir also eine Familie von Gerechtigkeit und Gerichten und die Geburt Jesu und von Gott gemachtem Menschen. Das ist ein Moment des Durchbruchs, den jede Gesellschaft erlebt. Eine neue Geburt. Es geht um Hoffnung. Das ganze Stück hindurch spricht Arbace davon, dass Hoffnung kommen wird. Er hofft, dass sie kommt, und Hoffnung ist, was Idamante repräsentiert. Und letztlich ist es an Idomeneo, die Welt dem Neuen zu übergeben und zurückzutreten. Unter diesem Gesichtspunkt gibt es auch viele Parallelen zur Zauberflöte.“

Vick beschreibt die Birmingham Opera Company als sein „Laboratorium“. Für seinen Idomeneo 2008 nahm das Publikum als Kriegsgefangene am Bühnengeschehen teil; seine auf den Veranstaltungsort ausgerichteten Produktionen dort sind gewagt und haben großes Lob geerntet. „In Birmingham fühle ich mich wohl, da kann ich etwas wagen“, gesteht er. „Das gibt mir den Mut, Produktionen auch an andere Orte zu bringen.“ Orte wie Bukarest, wo Vick derzeit einen Fidelio inszeniert, in dem 25 Studenten spielen. „Ich habe die Produktion in der Zeit der Studentenaufstände angelegt. Ich habe meine eigene Fassung adaptiert – die Produktion hat einen sehr Birmingham-typischen Schub.“

Tenor Paul Nilon sang Idomeneo in Birmingham und Vick hat ihn auch für Göteborg besetzt. „Er ist ein großartiger Sänger; er versteht es, die Virtuosität des 18. Jahrhunderts zu genießen, sie aufregend zu gestalten und sie mit Bedeutung zu füllen. Das ist die Ebene großer Kunstfertigkeit, die dieses Repertoire verlangt, damit es zum Publikum sprechen kann.“

Eine der interessanteren Besetzungen ist die des Idamante, Idomeneos Sohn. Die Kastratenrolle wird gewöhnlich von einem Mezzosopran gesungen, doch in Martin Kušej's Inszenierung für die Royal Opera kam ein Countertenor zum Einsatz. Mozart hat die Rolle jedoch für Tenor umgeschrieben und diesen Weg wählt auch Vick mit Luciano Botelho, der die Rolle in Schweden singt. „Als ich Idomeneo am Maggio inszeniert habe, habe ich die Rolle mit einer phantastischen Mezzosopranistin besetzt, Monica Bacelli, die eine liebe Freundin ist und jemand, mit dem ich viel arbeite. Also hatte ich erwartet, dass sie der perfekte Idamante wäre. Aber als ich es mir angesehen habe, als ich es geprobt habe, hat mich die Beziehung Vater und Sohn nie wirklich bewegt. Ich konnte die Künstlichkeit der Oper nie durchdringen. Als Idomeneo den Dolch aufhob, um seinen Sohn zu töten, sprach das nie auf die Weise, die Mozart im Sinn hatte.“

„Also habe ich Idamante in Birmingham mit einem Tenor besetzt, weil ich wusste, dass es viel berührender für das Publikum sein würde und ich war auf neugierig darauf zu sehen, wie ich es empfand. Ich glaube, dass dem musikalischen Drama ein Tenor dienlicher ist. Ich sage nicht, das ist absolut, aber für mich als Regisseur ist es von Bedeutung. Ich war viel tiefer bewegt und erschüttert und berührt von den zwei Tenören in der Opferszene und ich dachte, dass das für Göteborg, wo es kein Opernpublikum ist, wo man das Repertoire nicht kennt, wo Idomeneo ein sehr ungewöhnliches Stück ist, die richtige Entscheidung ist.“

Mozart beendet die Oper mit einer zehnminütigen Ballettsequenz – nicht das packendste Finale, aber eines, auf das viele Dirigenten bestehen. Vick schloss das Ballett in Florenz ein, fand jedoch, dass es aus dramatischer Sicht nicht machbar war. „Die Musik ist wunderbar, aber es ist schwer, aufmerksam bis zum Ende des Dramas dabeizubleiben. Mozart hat das nicht unbedingt gut proportioniert – es ist wie ein Christmas Pudding – es ist sehr, sehr, sehr gehaltvoll, und es kommt ein Punkt, an dem man auch nicht nur einen Teelöffel mehr davon schafft.“ Also kein Ballett in Göteborg? „Vielleicht ist es gut, sich das Ballett eines Tages noch einmal anzusehen, vielleicht für ein Festival, aber für ein Publikum, das nach einem langen Arbeitstag in Schweden in die Oper kommt, wäre das, glaube ich, nicht die richtige Wahl.“

Welche Wahl Vick auch immer in Göteborg, trifft, so könnte Idomeneo keinen besseren Fürsprecher unter den zeitgenössischen Opernregisseuren haben.

 

Dieser Artikel entstand im Auftrag der Oper Göteborg.

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.