In den letzten 10 bis 15 Jahren haben viele Musikfestivals ihre Konzerte nach und nach barrierefreier gestaltet. Das ist zum Teil der engagierten Arbeit von Gruppen wie Attitude is Everything, Drake Music, Drake Music Scotland, ParaOrchestra und dem Symphonieorchester Montreal sowie der Leitung von behinderten Künstlern und Aktivisten zu verdanken. Doch viele traditionelle Festivals, besonders solche außerhalb größerer Städte, stehen dem zurück. Von wem lernt man als kleines Festival in einer Berggegend?
I Suoni delle Dolomiti (Klänge der Dolomiten) ist ein Festival in den namensgebenden Bergen im Nordosten Italiens um Trient. In diesem Jahr spricht die Organisation initiativ die Barrierefreiheit verschiedener Konzerte der Saison an. Ich habe mit Selene Setti und Roberto Genovese gesprochen, um mehr über das Festival zu erfahren, wie es gewachsen ist, was der Anstoß dazu war, nun die Barrierefreiheit anzugehen, und was das Team bei dem Prozess herausgefunden hat.
Das Festival wurde 1995 von den Künstlerischen Leitern Paolo Manfrini und Chiara Bassetti gegründet. Sie wollten Musik in die Dolomitenregion bringen und dadurch den Tourismus innerhalb der Provinz anregen. Das Festival hebt sich sowohl aufgrund der Vielfalt verschiedener Genres als auch der geographischen Breite der Konzerte in den Tälern der Region von anderen Festivals ab und bringt Musikveranstaltungen in viele ländliche Gemeinschaften.
In meinem Gespräch mit Setti und Genovese beeindruckte mich, wie stark das Festival bereits in seinem Standort und der Gemeinschaft verwurzelt ist. Der Eintritt zu den Konzerten ist frei, und Veranstaltungsorte sind in der ganzen Region verteilt; Lage und Kosten sind also kein Hindernis. Besonders ist auch das Zusammenspiel mit der natürlichen Umgebung, wie Setti schwärmt: „Es ist eine Sache, Bach in einem Konzertsaal zu spielen, aber Bach in den Dolomiten zu spielen ist etwas ganz anderes.“
Wo die Einbettung in die örtliche Gemeinschaft für das Festival bereits Priorität hat, nimmt es nicht Wunder, dass Fragen rund um das Thema Barrierefreiheit für Besucher mit Hörbehinderungen oder mit eingeschränkter Mobilität ein wichtiger Gesprächspunkt für das Festival geworden sind.
Für ein Festival, das in einer italienischen Bergregion liegt, ist die Erreichbarkeit ohnehin eine komplizierte Angelegenheit – manchmal muss das Publikum einen Hügel zu der Kirche erklimmen, in der das Konzert stattfindet, oder von einer Stadt in einem Tal zur anderen Stadt im nächsten Tal wandern.
Setti betont, dass es unter diesen Umständen nur wenige Festivals gibt, die als direkte Vorbilder dienen können, wenn es um die Zugänglichkeit geht. Darum hat das Festival positive, kleine Schritte anstelle von großen, gewagten Sprüngen gemacht. Das Orient-Okzident Tanzfestival im nahegelegenen Rovereto war ein wichtiges Model, als die Veranstalter sich daran gemacht haben, ihre Veranstaltungen barrierefreier zu machen. Das schließt die Verwendung der Subpac-Technologie für Besucher mit Hörbehinderung ein, einem taktilen Audiosystem, das Musik fühlbar machen soll.
Ähnliche Systeme werden auch bei den Klängen der Dolomiten zum Einsatz kommen, wobei Setti die Partnerschaft mit Inklusivitätsberatern Re-Moove betont, die bei der Umsetzung helfen können. Dazu zählt die Begleitung von Besuchern, die Unterstützung in Sachen Mobilität benötigen mögen, und die Sicherstellung dessen, dass die barrierefreien Veranstaltungen nicht zu abgelegen sind (und dabei aber eine echte Verbindung zur Natur beibehalten).
Was mich besonders anzog war die Verteilung inklusiver Veranstaltungen. Ich habe selbst mit Organisationen in der Produktion von barrierefreien Veranstaltungen gearbeitet oder sie dabei beraten, und oft findet man eine einzige solche Veranstaltung in der Mitte eines größeren Programms. Oft ist Barrierefreiheit an familienfreundliche Veranstaltungen gebunden – wobei vergessen wird, dass Besucher mit Behinderung auch nach ihrem 18. Geburtstag noch diese Behinderung haben. Klänge der Dolomiten hingegen bietet eine ausgezeichnete Mischung inklusiver Konzerte, die die Vielfalt und generelle Stimmung und Identität des Festivals spiegelt. Dazu zählen Aufführungen von Violinistin und Komponistin Iva Bittová, des Barockensembles No String Attached, Singer-Songwriter Frida Bollani Magoni, und Jazztrompeter Fabrizio Bosso mit Pianist Julian Oliver Mazzariello.
Ich war neugierig zu erfahren, was das Organisationsteam sich für das Festival erhofft, jetzt wo es die Möglichkeiten der Inklusivität auslotetet, und welche Erfahrungen es im Zuge dessen gemacht hat. Als unser Gespräch auf das Thema des Programms kam, war es schön, eine ehrliche Offenheit für die Möglichkeit zu sehen, dass in Zukunft mehr Interpreten mit Behinderungen aktiv am Festivalgeschehen teilnehmen werden.
Als wir über die Subpacs sprachen, vermittelten Setti und Genovese zudem nie den Eindruck, dass das lediglich eine Pflichtübung war, sondern dass sie schlicht offen waren für Gespräch und Adaption, wo es notwendig war. Das spiegelt die Natur des Festivals seit Anbeginn. Bei einem bunt gemischten Publikum von engagierten Ortsansässigen und Touristen kann man es sich nicht leisten, sich nur auf ein Element zu konzentrieren. Beide Seiten dieses Publikums müssen gepflegt werden. Das bedeutet sowohl enge Zusammenarbeit mit der örtlichen Gemeinschaft als auch Offenheit und Zugänglichkeit für Touristen, die die Dolomiten noch nicht kennen.
Wir schließen unser Gespräch mit einer Betrachtung dessen, wie Publikum und Festivals in Italien auf ihre Arbeit reagieren könnten, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass auf diesem Gebiet derzeit nur wenig getan wird. Setti ist optimistisch, aber realistisch: „Wir müssen langsam anfangen und positiv aufbauen. Das ist die beste Art, uns als Festival zu entwickeln; dann können wir mehr an der Kommunikation arbeiten. Aber wir müssen vorsichtig anfangen.“
Setti bleibt dabei, dass es ein wichtiges Arbeitsgebiet ist, das weiterentwickelt werden muss. Sie findet, dass es anderen Festivals in Italien zum Vorteil gereichen würde, wenn man sie diese Arbeit über drei oder vier Jahre entwickeln ließe und ihnen gestattete, sich an die Bedürfnisse ihrer eigenen Örtlichkeiten, Regionen und Besucher anzupassen.
Ich persönlich bin optimistisch, was dieses Festival betrifft. Ich habe einen Großteil meines Berufslebens damit verbracht, Organisationen zu ermutigen, ihre derzeitige Arbeit für Besucher mit Behinderungen, Interpreten und Komponisten zu verbessern. Dabei stoße ich oft auf zwei verbreitete Probleme: Das erste ist eine Organisation in Schockstarre, weil man nicht weiß, wie man alles unmittelbar umsetzen soll, oder man ist zu besorgt, dass die mit Verbesserungen der Barrierefreiheit verbundenen Kosten Veranstaltungen finanziell untragbar machen. Das zweite Problem ist die Annahme, dass eine Veranstaltung ausreicht und man sich es mit Maßnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit angeblich mit traditioneller Klientel verscherzt. Das Ergebnis kann eine Veranstaltung sein, die sich rein symbolisch und vom Rest des Festivals isoliert anfühlt.
Diese Probleme sind jedoch belanglos für Klänge der Dolomiten. Das Festival akzeptiert, dass diese Dinge Zeit brauchen. Das Team ist sich bewusst, dass es sich um einen Prozess handelt, den es im Zuge der Arbeit auf diesem Gebiet weiterentwickeln und verbessern wird. Das Festival als solches möchte für die Gemeinschaft, die es bedient, offen sein, und dazu zählen wahrlich auch Besucher mit Behinderung. Es bietet eine breite Mischung aus Jazz, Folk, Pop und Klassik, und seine barrierefreien Konzerte reflektieren diese musikalischen Idiome – was bedeutet, dass ein Besucher mit Behinderung das Festival gar nicht so sehr anders erlebt als alle anderen.
Für Organisationen, Künstler und Festivals, die Verbesserung in puncto Inklusivität anstreben, scheint Klänge der Dolomiten ein solides Vorbild – ein Beweis, dass „langsam, aber positiv“ wahrlich förderlich sein kann, und etwas, von dem andere etwas lernen können.
Wenn Sie zwischen August und September noch nichts vorhaben und zufällig im Trentino sind, oder wenn Sie einen Vorwand brauchen, um die Berge und Täler Nordostitaliens zu besuchen, ist Klänge der Dolomiten ein wunderbares Ziel, das mit musikalischer Vielfalt und Reichtum und den wilden Klängen der Berge lockt.
Hier finden Sie alle Veranstaltungen für I Suoni delle Dolomiti 2023.
Dieser Artikel wurde von I Suoni delle Dolomiti gesponsert.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.