Diese Pflanze blüht noch im November auf den Gräbern, verbindet Hell und Dunkel und lässt an Verlust und Ausklang denken: „Ein Hauch von Heidekraut für Witold“ nannte (übersetzt) der ungarische Komponist György Kurtág 1994 den musikalischen Nachruf auf seinen polnischen Kollegen Lutosławski. Original für Klavier geschrieben wurde das knapp dreiminütige Stück, nun in einer Fassung für Zymbal, von Luigi Gaggero vorgetragen, zum nachdenklich solistischen Auftakt eines intensiv empfundenen Konzertprogramms der Bamberger Symphoniker.
Ausklang auch deshalb, weil das Orchester-Management an Stelle der ursprünglich zugelassenen 200 Hörer nach Überschreiten einer weiteren Pandemie-Schwelle in Bamberg nur noch 50 Teilnehmern im Keilberth-Saal das Hörerlebnis erlauben konnte. Immerhin stemmte das Ensemble am Wochenende meisterhaft sechs solcher Konzerttermine; doch danach müssen die Notenmappen in einem zweiten kulturellen Lockdown für mindestens vier Wochen geschlossen bleiben. Die Bestürzung über den erneuten Verlust des musikalischen (Er‑)Lebens war geradezu mit Händen zu greifen, im Klang zu spüren.
Dabei gab es genügend Anlass für Vergnügen: zum zweiten Mal gastierte die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan beim Orchester. Hatte sie vor zwei Jahren virtuos in Hans Abrahamsens let me tell you begeistert, war sie nun gleichermaßen mitreißende Leiterin der Symphoniker wie hochsensible Solistin der Liederzyklen im Mittelteil. Ungarische Komponisten standen im Zentrum des Programms: Béla Bartók hat – ähnlich wie später Zoltán Kodály und György Ligeti – als Musikethnologe die Volksmusik seiner Heimat gesammelt und erforscht und daraus bedeutende Inspiration für seine eigene Musiksprache geschöpft. Seine Erste Rhapsodie fügt einige der gesammelten Weisen zusammen, gab dem Konzertmeister Ilian Garnetz viel Raum, im urwüchsigen Stil der Volksgeiger wiegenden Werbetanz ebenso wie kantige Rhythmen des Csárdás in seinem Violinpart zu präsentieren, melodisch schön und oft bis zum Bersten gesteigert. Anstatt Harfe und Klavier fügte Luigi Gaggero wieder die weich irisierenden Klangkristalle des Zymbal ins Geschehen; einem Hackbrett ähnlich wird es mit zwei Klöppeln unterschiedlicher Bespannung bespielt und besitzt in der hell gemaserten Truhenform auch eine Dämpfungsmechanik.
Barbara Hannigan hatte bereits bei Bartók mit lebhaften Bewegungen dirigiert, extrem biegsam süßen Klang modelliert und wie eine Tigerin lauernd stampfende Tuttiausbrüche befehligt; da wurden auch fünf zarte Finger zur Faust geballt und energiegeladene Steigerungen ausgebreitet. Mit Joseph Haydns Symphonie Nr. 86 entführte sie die Hörer auf eine Insel der Seligen, musizierte völlig verwandelt eine delikat durchsichtige Klangvision. Für den Hof von Versailles geschrieben bietet das Werk reichlich harmonische Überraschungen, imitiert Militärmusik und verrückt die rhythmischen Akzente im Menuetto. Herrlich getragen das Fagottsolo im Trio, das von den anderen Holzbläsern elegant aufgenommen und abgewandelt wurde.