Es kommt nicht oft vor, dass ein Streichquartett, das bereits vor 77 Jahren gegründet wurde, noch immer erfolgreich wirkt. Robert Mann setzte sich 1947 mit Kollegen der Juilliard International School in New York zusammen; ihre Aufnahmen der klassischen und romantischen Quartettliteratur waren damals und sind jetzt noch Maßstäbe, an denen sich jüngere Gruppierungen messen. Umso bewundernswerter, dass die Formation sich immer neu erfindet, noch heute aktiv ist, wenn auch die Gründer inzwischen verstorben sind. Und sie ist deutlich weiblicher geworden: Aretha Zhulla, 1. Violine, Molly Carr, Viola, und Astrid Schween, Violoncello, gehören zudem zur jüngeren Generation; Ronald Copes, 2. Violine, ist bereits seit 1997 an seinem Pult. Sie setzen neben bewährtem Repertoire verstärkt auch auf zeitgenössische Komponisten, wie den 1973 geborenen Jörg Widmann.

Juilliard String Quartet © Shervin Lainez
Juilliard String Quartet
© Shervin Lainez

Zwischen dem Berliner Boulez-Saal, Padova Auditorium und dem Salzburger Mozarteum: beim gut besuchten Gastspiel feierten die Fürther die legendären Juilliards zum Debüt im Stadttheater. In ihrer anspruchsvollen Programmfolge verbanden die Amerikaner überzeugend Quartette von Beethoven und Widmann und demonstrierten, warum sie mit verblüffend präziser Sachlichkeit und hellwachem Intellekt zum Ideal vieler jüngerer Ensembles wurden.

Zu Beginn Ludwig van Beethovens Streichquartett B-Dur, Op.130, sein wohl kühnstes Quartett, dessen einleitendes Adagio wunderbar zart aufblühte. Ausgefeilt dann das Allegro, in dessen Durchführung völlig homogener Fluss und fein ausgehorchte Dynamik faszinierten. Dämonisch, wie von Geisterhand, die kurze Szene des Presto. Pianissimo- und Fortissimo-Sprengkraft dieses Werks, Gefühlsextreme in denkbar komplexen Strukturen begeisterten im Andante, das sich zum Scherzoso hin zwischen Melancholie und Heiterkeit bewegte. Elegant schwingend, wie aus einem Guss dann Alla danza tedesca, in dem selbst Aretha Zhulla ihre herausleuchtende Violinmelodie bescheiden ins Klangbild einfügte. Die Emotionen der Cavatina, der Überlieferung nach von Beethoven „unter Thränen der Wehmuth komponirt“, hoben sie in großem Bogen wie mit dichtem Pinselstrich einer Malerei heraus; besonders bewegend die synkopischen Motive der ersten Violine im Allegro assai. Das nachkomponierte Allegro, an Stelle der Fuga, wurde hurtig durchschritten, löste die vielfältigen Spannungen im Sinne eines heiteren Rondos wieder auf.

Jörg Widmanns Beethoven-Studien aus den Jahren 2019/20, bei denen er im Achten und Zehnten Streichquartett bewundernd und liebevoll Themen aus Beethovens Op.130 zum Ausgangspunkt nimmt, erwiesen sich überraschend fast spannender als ihre Vorbilder. Es sind Stücke, die aus tiefer Seele zeitgenössisches Empfinden und Erleben im Umgang mit Realität und Fiktion widerspiegeln. Das Danza-Thema beherrscht das Achte Quartett (auch „Beethoven-Studie III“ genannt): da wechselten originale, gezupfte, gedehnte Abschnitte, atonales oder geräuschhaftes Idiom; im bewegten Schluss weckten Choral und tänzerische Momente die Vision von Kirche und Kneipe. Mit geradezu trotzigem Furor und doch augenzwinkernd durchschritten die Juilliards diese harmonisch-rhythmischen Wechselbäder.

Ein einziger atemberaubender Lauf ist Widmanns Zehntes Quartett („Studie V“) mit dem Zitat von Beethovens Cavatina, dessen geradezu orchestrales Klangfarbennetz sich mal gespenstisch zart, mal aufreizend wild bewegte. Zwischen geheimnisvoll gehauchtem Pianissimo-Beginn, kühnem Kontrapunkt, gestrichenen Schleiftönen und pulsierendem Walking Bass schraubten sich die vier Instrumente in lyrischem Gesang immer stärker in dramatische Intensität, die klanglich in Puccini-Nähe rückte; sie erklangen in allerhöchster Lage wie ein trunkenes Lied von Schönheit. „Alles schwebt, ins Offene, ins Freie“, hat Widmann es einmal beschrieben.

Attacca entwickelte sich daraus nun Beethovens Große Fuge, Op.133, ursprünglich Teil seines Op.130. Strukturerhellend wie temperamentvoll: die vier Streicher machten auch deren Darstellung zu einem packenden Erlebnis, das in einem hymnischen, kontrapunktischen Höhepunkt gipfelte, wenn beide Fugenthemen aufeinander treffen. Und immer wieder regte Beethovens harsches Klangexperiment zu Gedanken an, wie sehr der Komponist voraus in die späte Romantik gedacht haben mag, gar zu zeitgenössischer Musik. Der verzauberte Hörer hat nach den fünfzehn bizarren Minuten sicher nur wenig verstanden, aber alles erlebt.

Mit seiner Originalität und Kreativität ist das Juilliard String Quartet noch immer eine Institution. Musikalische Grenzgänge wie das Programm in Fürth haften zum Glück tief in der musikalischen Erinnerung.

*****