„Israel Galván zeigt sich nicht. Er erscheint.“ Mit diesen Worten beschrieb der Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman vor einigen Jahren das Flamenco-Ausnahmetalent. Als Erscheinung kann man nicht einfach auf die Bühne treten, nein, dafür ließ sich Israel Galván etwas besseres für seine aktuellste Produktion, la fiesta, einfallen. Während seine Musiker, Tänzer und Sänger den ersten Rhythmus anstimmen, rutscht Galván in der Mitte des Zuschauerrangs – mit Pfeife im Mund und Blümchen im Haar – die Stufen auf seinem Gesäß runter. Spätestens hier wurde klar, dass la fiesta das Publikum spaltet, denn Galván wird nach wie vor als Choreograf und Flamenco-Tänzer beworben. Damit sind seine Ursprünge aus der Flamenco-Szene in Sevilla geklärt, jedoch keinesfalls sein poetisches Programm beschrieben. Denn das schillert nur von Ironie, Exzess, Erschöpfung und Auflehnung.
Im Mai 2017 in St. Pölten uraufgeführt und im Juli darauf beim renommierten Festival d’Avignon gezeigt, befreite la fiesta schon in Südfrankreich einige Sitzplätze der Last der schweren Zuschauer. Das liegt zweifelsohne daran, dass Galván mit seiner Truppe, die nicht ausschließlich aus andalusischen Künstlern besteht, sich nicht mehr auf den strikten Kanon des Flamencos einlässt. Er erweitert deren Ausdrucksmöglichkeiten mit zeitgenössischen Theaterpraktiken. Dadurch gibt es nicht mehr nur cante jondo, baile flamenco und Gitarrenmusik (und selbst den Flamenco nur auf diese Eigenschaften zu verkürzen tut ihm unrecht). Galván stellt die expressive innere Gefühlswelt mit erweiterten Mitteln dar. Niño de Elche gibt ein Solo ins Mikrofon, in dem er die Töne aus einem abstrakten, äußeren Zwang heraus nicht artikulieren kann. Es entstehen gepresste Anfangslaute, die auf ironische Weise die überpräsente Gefühlswelt des Flamenco ins Gegenteil verkehren: Unfähig des gewollten emotionalen Ausdrucks wird die Szene zur Clownerie. Uchi hingegen scheint die klassische Interpretin des cante flamenco zu sein. An ihr wird der Gehalt der Anekdote bewiesen, dass man im Flamenco mit einer einzigen Bewegung der Arme mehr aussagen kann, als in einer ganzen Choreografie. Uchi, die älteste Performerin dieses Abends, hat eine dezente Expressivität im Blut, mit der sie sofort die Aufmerksamkeit und Empathie des Publikums fordert. Mit nur kleinen Schritten und kleinen Bewegungen und flecos, die ihren Körper umhüllen, hebt sie den Abend auf eine zeitlose Realitätsebene. Aus solchen Kontrasten nährt sich der ganze Abend.
Alia Sellami hingegen spielt die gelangweilte, introvertierte und unverstandene Diva eines galanten Festes. Musikalische Wandlungsfähigkeit zeichnen auch sie aus. Mal pocht zum tiefen Bass ihre Stimme in sprechsängerischer Art und Weise, später rezitiert sie Didos Lamento von Purcell. So finden viele angeschnittene Emotionsfarben Eingang in das collagenhafte Fest von Galván. Sie überlagern sich, verschieben sich ineinander und sorgen für einen Rausch und Reizüberfluss, den Galván biografisch anlegt. Als vierjähriges Kind sei er von seinen Eltern, renommierte Tänzer, auf zahlreiche Feste mitgenommen worden und hat schon früh die nächtliche Erwachsenenwelt erlebt. Übermüdung, neurotische Charaktere, Gefühlsausbrüche, Streit, Versöhnung, Begierde. Man kann das gesamte Lebensspektrum in la fiesta sehen, wenn man will. Dass einigen Zuschauern diese Welt verschlossen blieb, bekundeten sie mit ihrem frühzeitigen Abgang. Auf das Fest muss man sich einlassen können, um den Reichtum zu erfahren. Was durch viele laute Stimmen, Affektiertheit, Wehklagen und willkürlich wirkende Momente das Publikum durchaus an seine Geschmacks- und Geduldsgrenzen brachte.