„Ja, ich fühle mich geradezu berufen zum Offenbach des 20. Jahrhunderts!“ So schrieb Richard Strauss 1913 an seinen Textautor Hugo von Hofmannsthal, mit dem er gerade die umfänglichen Stoffe von Elektra und Der Rosenkavalier in Dresden auf die Bühne gebracht hatte. Nun schwebte ihm eine „kleine Zwischenarbeit“ vor, und Hofmannsthal regte eine Mischung von mythologischen und komödiantisch burlesken Handlungsfäden an, für die Molières Der Bürger als Edelmann den Ausgangspunkt bilden sollte. Aus der anfangs avisierten 30-Minuten-Oper wurden nach Umarbeitungen schließlich doch zwei Stunden Spielzeit, die reduzierte Orchesterbesetzung blieb erhalten. An der Wiener Hofoper erklang 1916 die Uraufführung von Ariadne auf Naxos: ein großer Opernakt mit Vorspiel, in dem der Molière’schen Sprechrolle des Haushofmeisters eine tragende Funktion zukommt.

Theodora Varga (Ariadne) © Marie Liebig
Theodora Varga (Ariadne)
© Marie Liebig

Viel Wortwitz und Situationskomik hat Hofmannsthal schließlich in sein Libretto verpackt, eine Oper mit einem Theater auf der Bühne komponiert, in dem zwei Theatergruppen durch die Laune eines vermögenden Schlossherrn aufeinanderprallen, weil ihre vorbereiteten, eigentlich scheinbar beziehungslosen Szenen nicht nacheinander aufgeführt werden dürfen: zwischen Galamenü und Feuerwerk sollen die Gäste sie „gleichzeitig serviert bekommen“. Für Hofmannsthal ein unendlicher Fundus an theatralischen Verwicklungen und Wandlungen, Improvisationen und seelischen Schieflagen!

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Paul Kmetsch, Carlos Moreno Pelizari, Benedikt Eder und Jonas Atwood
© Marie Liebig

Am Theater Regensburg brachte der in Andorra geborene Schauspieler und Regisseur Joan Antón Rechi, der am Instituto del Teatro in Barcelona studiert hatte, ein rasantes Spiel zwischen buffoneskem Boulevardstoff und hehrer Opernromantik auf die Bühne. Zentrale Fragestellungen sind für ihn, ob das komödiantisch improvisierte Werk aus der Commedia dell’arte oder die vom Tonschöpfer gerade vollendete heroische Oper romantischen Stils überlegen ist und wie die beiden Künstlergruppen im Laufe des Spiels mit der explosiven Situation umgehen und schließlich sich völlig diverse Identitäten aufeinander zubewegen und Neues schaffen.

Da Rechi der spanischen Kultur nahesteht, hat er sich für Zerbinetta und ihre Komödianten von der Flamenco-Tradition seiner Heimat inspirieren lassen. Insbesondere die in den 30er Jahren auch nach Deutschland eingeladene Tänzerin Imperio Argentina wurde zum Vorbild seiner Zerbinetta, in deren Rolle nun Kirsten Labonte in bewundernswert rasantem Spiel schlüpfte. Der Gegensatz zur zeitgleich in Bayreuth gepflegten wagnerianischen Operntradition, in die das klassische Opernsujet der „Ariadne“ gestellt erscheint, ist eklatanter kaum vorstellbar.

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Kirsten Labonte (Zerbinetta)
© Marie Liebig

So war gerade das Vorspiel im Hause des reichen Mäzens an deftiger Situationskomik und hurtigen Slapstick-Momenten kaum zu überbieten: da hatten sich die Hose des Offiziers und Zerbinettas wallender Rock verfangen, was peinliche längere Anhänglichkeit verursachte. Von der silbernen Anrichteplatte gerät der gegrillte Hummer auf Abwege; der Musiklehrer hat Mühe, seine Beute zu verstecken. Alle schlottern geradezu im Gleichtakt theatralisch, wenn der Haushofmeister (Michael Heuberger mit scharf einschneidendem Ton) seine Weisungen erlässt. Gabriel Insignares Gaballeros Bühne zeigt ein nobel pastellrotes Rokoko-Foyer, dessen fünf Türen im steten Auf- und Abtreten aller Akteure eifrig und knallend zugeworfen werden. Stimmlich wie spieltechnisch gelang ein ebenso genussvoller wie tiefgründiger Bühnenspaß, der bei den Zuhörer in herzlichem Lachen gut ankam.

Reichen Anteil am prachtvollen Gelingen des Vorspiels hatte Patrizia Häusermann, die in der Hosenrolle des Komponisten alle Facetten der Begeisterung für das eigene, neu komponierte Werk und der Enttäuschung über die anbefohlenen Kürzungen faszinierend und hinreißend verkörperte und mit begeisternder vokaler Ausstrahlung immer wieder in den Mittelpunkt rückte. Rechis Regie hatte auch hier einen wichtigen Trumpf, indem der weltferne kunstaffine Komponist und die leichtlebig flatterhafte Zerbinetta gemeinsame Wesenszüge entdecken dürfen und am Ende des Vorspiels Kuss und Umarmung weder flüchtig noch nichtig ausfallen.

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Theodora Varga (Primadonna) und Hany Abdelzaher (Bacchus)
© Marie Liebig

Beeindruckend war die vorzügliche Besetzung aller Rollen mit sängerisch fabelhaften Kräften aus dem eigenen Haus. Mit keckem Hüftschwung glänzten die stolzen Spanier von Patrik Horňák, Carlos Moreno Pelizari, Benedikt Eder und Jonas Atwood. Seymur Karimovs Musiklehrer suchte mit seiner Lebenserfahrung, dem Komponisten den Wert des ausbedungenen Salärs verständlich zu machen. Und die Mischung aus Nymphen und Rheintöchtern gestalteten Scarlett Pulway, Selena Altar und Svetlana Krutschinin ebenso durchtrieben wie pathetisch. Tom Woods ließ das Philharmonische Orchester Regensburg beherzt aufspielen; gerade bei den vielen szenischen Überraschungen zündeten Richard Strauss’ musikalische Funken mit viel Bravour. An einigen nachdenklichen Stellen hätten auch sensiblere Piani den Kontrast verstärkt.

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Patrizia Häusermann (Komponist)
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Als stimmgewaltige Primadonna und Ariadne brillierte Theodora Varga mit Noblesse und verschwenderischer Hingabe bis zum „Reich wo alles rein ist“. Einen vokalen Höhepunkt setzt Kirsten Labonte dann mit „Großmächtige Prinzessin“: in kaum zu überbietender Perfektion, mit Tönen, die wie glitzernde Tropfen an hauchdünnem Faden gereiht schimmerten, zartesten Piani, verspielt und doch nie vordergründig.

Wenn die Szene mit Ariadne und Bacchus dann wieder in Wagner’sche Nähe klangwuchtiger Götterposen geriet, konnte man einen Bruch zum bisher doppelbödigen Charakter empfinden. Hany Abdelzaher rief Ariadne als Bacchus, zunächst noch forciert, mit heldentenoralem Glanz. Das Bühnenspiel wirkte nun kaum noch als liebevoll feinfühlige Parodie. Dass Rechi am Ende die Schlusswendung überraschend vor den Vorhang holt und somit aus der monströsen Sagenwelt befreit, ließ Aufatmen zu und Lächeln, wenn zu Strauss’ sinnlichen Schlusstönen Zerbinetta und der Komponist in gemeinsamem Tanz versinken und herzliche Umarmungen der Künstler verständnisvolle Harmonie ausstrahlen.

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