Menschliche Körperteile an einem Baum im Schnee hängend, dahinter ein Wohnwagen – herzlich willkommen, aber nicht im ersten Aufzug einer irren Walküre-Inszenierung oder dritten Bild einer irreren Bohème, sondern in Martin Kušejs Versuch über Tosca am Theater an der Wien. Vergessen wir für einen Abend das sommerliche Rom von 1800 und alles, was wir mit Puccinis Diven-Drama assoziieren.
Denn „Alles anders“ ist Kušejs konsequent umgesetztes (Lebens-)Motto als Regisseur, und in seiner schneehellen Sicht auf das Dunkle an Tosca lässt er sich durch das Libretto nicht einschränken. Die Zusammenlegung der Figuren des Mesners (im Schamanen-Oufit) und des Gefängnis-Schließers zu einer Art Superschurken-Sciarrone kann man hinnehmen, und wem ein Kopfschuss-Killer reicht, wird Cavaradossis Hinrichtungskommando nicht vermissen.
Interessant zudem die Idee, die mysteriöse Gräfin Attavanti (den Grund von Toscas Eifersucht) zu zeigen, auch wenn man zunächst nur ahnt, warum sie im ersten Akt von Scarpias Schergen gekidnappt wird. Es sind aber genau diese Fragezeichen, welche dieser ansonsten grob-plakativen und brutal-hässlichen Inszenierung einen perversen Reiz verleihen – zumindest, wenn man Spaß am Rätseln hat. Dass das nicht die Mehrheit ist, merkte man an den heftigen Buhs nach Schluss, die der provokationsfreudige Burgtheaterdirektor geradezu dankbar annahm.
Das Beste, das man über diese Regiearbeit sagen kann, ist das erregt-atemlose Tempo (keine Pause!), und dass der zweite Akt besonders packend aufgebaut ist, da Scarpias Darlegung seiner Weltsicht (er will Frauen überwältigen, nicht zärtlich erobern) eine Stimmung wie Jagos Bekenntnis („Credo“) erzeugt, Cavaradossis leidenschaftlichem „Nego“ (Ich leugne) diametral entgegengesetzt ist. Den Höhepunkt bildet naturgemäß Scarpias Konfrontation mit Tosca, die vom Regisseur als „sich prostituierende Darstellerin/Sängerin/Spielerin“ in einer gewalttätigen Männergesellschaft gesehen wird, und dementsprechend edel-nuttig gezeichnet ist. Konsequenterweise ist es für sie eine Option, vor Scarpia die Beine zu spreizen: Hält sie Angriff für die beste Verteidigung oder findet sie masochistisches Gefallen an Scarpia? Hat sie das Stockholm-Syndrom? Noch mehr Überlegungen kann man darüber anstellen, warum Scarpia bei dem Spiel nicht mitmacht und den Gürtel, den ihm Tosca schon geöffnet hat, wieder schließt – die nüchterne ist, dass man inszenierungstechnisch zur „Preisverhandlung“ und zum Schreiben des Passierscheins abbiegen muss.
Dieses Kammerspiel erfährt zusätzliche Verdichtung dadurch, dass der Aktionsradius in Scarpias Wohnwagen (szenisch bleibt man bei verschiedenen Ansichten des ersten Bildes) eng gesteckt ist, und das tödliche Messer ganz offen auf einem Stuhl liegt, sodass die Figuren metaphorisch einen Tanz darum machen, bevor es zum Einsatz kommt. Dieser findet erst statt, nachdem die Gräfin Attavanti einen Kurzauftritt hat, um ein wenig mit Scarpia zu knutschen. Denkt man sich diese Figur als fleischgewordene Eifersucht Toscas, so fallen letztendlich sowohl Scarpia als auch Tosca dieser zum Opfer: Scarpia durch sein Spiel mit dieser Eifersucht, und Tosca, weil ihr Kušej eine Erschießung durch die Attavanti zugedacht hat (man hätte diese Schnee-Tosca mit der fehlende Lawine von La Wally beenden können, aber das war wohl zu wenig gewalttätig).